Rätsel der Menschheit oder: Die Statistik des Lauwarm

Viel hat der Mensch nachgedacht in der Menschheitsgeschichte. Er ist zu tiefen Einsichten gelangt und hat die Weiten seiner intellektuellen Grenzen ausgelotet, hat Philosophie, Mathematik, Physik und, ja, selbst die Soziologie hervorgebracht, um nicht nur zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern auch, um sie sich fügsam zu machen, diese Welt, Untertan, wie es in den alten Religions-Schriften steht.

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David-Hume-Statue in Edinburgh
Alle Artikel in diesem Artikel (c) Martin Herzog 2013

Wenig ist dabei unbemerkt geblieben, unerkannt, unberührt, wozu nicht zuletzt die Schotten beitrugen, die der Welt neben Dudelsack, Haggis und Whiskey auch den Schriftsteller und Detektiv-Vater Arthur Conan Doyle schenkten, gleichermaßen den Philosophen David Hume, sowie den Ökonomen Adam „Unsichtbare Hand“ Smith. Die Schottische Aufklärung ist ein Fanal geistigen Aufstiegs eines Volkes aus den nebelgetränkten Niederungen einer Bauern- und Fischernation, wie ich neulich bei einem längeren Aufenthalt in der wirklich schönen Hauptstadt Edinburgh gelernt habe.

Einige Rätsel aber haben auch die Schotten nie aufklären können, und damit meine ich nicht die arg strapazierte Frage danach, was der Clanchef unter seinem Kilt trägt. Ich meine die wirklich wichtigen Fragen: Warum pfeifen manche elektrische Wasserkocher so seltsam beim Erhitzen, andere nicht? Warum gelingt immer erst der zweite Pfannkuchen? Scheint die Sonne auch dann, wenn gerade niemand hin guckt? Vor allem aber: Warum sind die Wasserhähne in Restaurants und Gäste-WCs immer immer immer so knapp moniert, dass es nur unter größtmöglichen Verrenkungen möglich ist, die Hände mit einer dem Zweck des Händewaschens angemessenen Menge Wasser zu benetzen?

Design-2003 Nero-AssolutoBin ich eigentlich der einzige Mensch, dem das auf den Keks geht? Das ganze Bad durchgestylt wie aus Schöner Wohnen, die Kloschüssel von Luigi Colani handsigniert, das Waschbecken riesig groß und natürlich nicht aus Keramik sondern in kantigem, schwarzen Granit mit schräger Ablauffläche, Modell Nero Assoluto  – und dann ein exklusiver Design-Wasserhahn, der keinen Zentimeter über den Rand in selbiges hinein ragt und jeden Versuch vereitelt, sich der hygienischen Handwasch-Routine mit so etwas wie Würde zu entledigen. Es bleibt nur die Wahl zwischen voll gespritztem Spiegel und durchtränktem Hemd – oder dreckigen Fingern.

Dieses ist ein weltweites Übel und ich frage mich angesichts der Allgegenwärtigkeit des Phänomens ernsthaft, ob es für diese sanitäre Katastrophe einen tieferen Grund gibt, eine Agenda gar. Da hat doch die NSA ihre Finger im Spiel! Oder der Mossad. Oder Villeroy&Boch.

Leichtfüßig erweitert wird der Waschbecken-Wahnsinn allerdings von einer britischen Institution – oder besser gesagt: Installation – vor der mich angesichts meiner baldigen Umsiedlung nach London Kenner der Insel eindringlich gewarnt haben. Es war dies Teil einer langen Liste von englischen Eigentümlichkeiten, darunter Badezimmer und Pubs mit Teppichboden, warmes Bier und kalte Wohnungen.

Die Rede ist von getrennten Wasserhähnen für heißes und für kaltes Wasser. Vorsicht! hieß es allenthalben, die Hähne sind nicht nur getrennt, sondern auch hinterhältig: der eine eisekalt, der andere kochend heiß. Vorsicht!

Allerdings: So, wie ich Teppiche in Bad und Kneipe hier nur selten erlebe, und so, wie selbst der Engländer das Thema Doppelverglasung und Isolation inzwischen für sich entdeckt hat (na ja, ein bißchen zumindest), so bekam ich die mir angedrohten binären Wasserhahnsysteme in London und der näheren Umgebung kaum je zu Gesicht – und dann eher in gastronomischen Etablissements, die ich guten Gewissens nicht weiter empfehlen kann.

Burg-WaschbeckenInsofern hielt ich das Thema für erledigt. Bis zur erwähnten Schottlandreise. Herrjeh! Ich verstehe das nicht: Ist denn tatsächlich die Erfindung der Mischbatterie nicht einmal bis in die Lowlands vorgedrungen? An der Ostküste, an der Westküste, in den Highlands, auf dem Land, in der Stadt, in den Pubs sowieso – in vier unserer fünf Unterkünfte gab es getrennte heiß-kalte Wasserhähne. Die Unterkunft mit anständigem Wasserhahn? Wurde von einem deutschen Paar betrieben.

Edinburgh-WaschbeckenWarum nur? Traditionell stellen doch die Schotten den Maschinisten auf jedem Schiff, nicht nur im Raumschiff Enterprise: Scottie, heat it up! Muss doch möglich sein. Ich weiß schon: Wenn man eine Hand unter kochend heißes Wasser hält und die andere unter eiskaltes, dann ist das Wasser im statistischen Mittel lauwarm. Theoretisch. Hilft mir beim Händewaschen nur nichts. Vor allem dann nicht, wenn die Hähne nicht nur 30 Zentimeter auseinander stehen, sondern auch noch mit einer dieser praktischen Stoppautomatiken versehen sind, die nur so lange den Wasserfluss erlauben, wie man auf den Knopf drückt. Was soll das sein: Tradition, Gedankenlosigkeit, doch eine Verschwörung?

Albert Einstein soll mal gesagt haben, es gebe zwei Rätsel in dieser Welt, die sich der Menschheit nie erschließen würden: Die unglaublichen Weiten des Universums, und die unendlichen Tiefen von Damenhandtaschen. In aller Bescheidenheit fordere ich,  dieser kurzen, prägnanten Liste das Rätsel der binären Wasserhähne hinzuzufügen. Und Händewaschzwang für alle Haus- und Restaurantbesitzer auf ihren eigenen Gäste-WCs!

Ein Gedanke zu „Rätsel der Menschheit oder: Die Statistik des Lauwarm

  1. Hallo Martin.
    Nein, Du bist nicht der einzige! Die totale Opferung des Zwecks zugunsten von Design bei Wasserhähnen ist in der Tat ein haufiges Ärgernis, auch im Land der Preußen und im Land der aufgehenden Sonne.

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