Jetzt böllern sie wieder. Kaum 48 Stunden hat die Waffenruhe gehalten. Gerade sind die letzten Hlloween-Knaller verraucht, schon kommen unsere beiden Wachkatzen wieder mal mit angelegten Ohren von draußen zur Küchentür herein geschossen, weil irgend ein jugendlicher Knallkopp vor unserem Gartentor einen China-Kracher gezündet hat.
Bonfire Night steht an in England, auch Guy Fawkes Night genannt, nach dem einzigen der 13 Gun-Powder Plot-Verschwörer, an dessen Namen man sich aus Schulzeiten dunkel erinnern kann. Den aber kennt hier jedes Kind, nicht zuletzt wegen der weißen Schnurrbart-Maske, die durch den Film V wie Vendetta bekannt wurde, von der Hackertruppe Anonymous und der Occupy-Wallstreet-Bewegung übernommen wurde.
Wer zum Jahreswechsel nach London reist, und um Mitternacht überall auf den Straßen Raketen und Böller erwartet, der wird ziemlich enttäuscht sein. Sicher, ein großes Feuerwerk gibt es, auf der Themse am London Eye. Wer dahin und am Ende auch noch was sehen will, muss etliche Stunden vorher erscheinen (in diesem Jahr werden sogar erstmals Tickets ausgestellt, Eintritt: 10 Pfund), darf dann meist im Londoner Schmuddelwetter von einem Bein aufs andere treten, zu Big Ben hoch schauen und sich wundern, warum die Zeiger seiner Uhr immer langsamer werden, wenn sie Richtung 12 vorrücken. Das Ergebnis sind eine volle Blase, kalte Füße und warmer Sekt, bevor es endlich rummst. Einzige Alternative: Fernsehsessel und BBC-Übertragung.
Ansonsten bleibt London knalltechnisch zum Jahreswechsel auffallend ruhig. Weil sich die Londoner schon verausgabt haben. An Halloween. Und eben jetzt. In den großen Parks wie Battersea werden in dieser Nacht unter dem Gejohle der Umstehenden große Feuer entzündet und Guy-Fawkes-Puppen verbrannt, in Memoriam ihm und seinen Spießgesellen, die im Jahre des Herrn 1605 in katholisch-fundamentalistischem Eifer König James I. mitsamt dem versammelten protestantischen Hochadel zum Teufel bomben wollten, am Tag der Parlaments-Eröffnung in Westminster Palace. Remember, remember, the 5th of November… – den Kollateralschaden hätten sie dabei billigend in Kauf genommen, nämlich jene beistehenden Adeligen, die katholisch waren – also in ihren Augen unschuldig. Aber wenn’s ums Große Ganze geht, darf man nicht so kleinlich sein.
Hätte es geklappt, wäre der Knall… ordentlich gewesen. Also, ziemlich ordentlich sogar. Vom Parlament und dem umstehenden Stadtviertel wäre wohl nichts mehr übrig geblieben, so viel Schießpulver hatten die Verschwörer unter dem Parlament gebunkert (in einem Weinkeller, den sie gemietet hatten – so schlicht können Pläne manchmal sein). Und England sähe heute sicherlich sehr anders aus. Aber der Plot wurde entdeckt, weil Blut dicker als Wasser ist, und einer der Verschwörer wenige Tage zuvor seinen Schwager wenig subtil per Brief auf das geplante Feuerwerk aufmerksam machte. Das bezahlte Guy Fawkes mit dem Leben (natürlich erst, nachdem er mit den robusten, epocheüblichen Methoden überredet wurde, die Namen seiner Mitverschwörer preiszugeben, die dann ebenfalls den Weg zum Galgen fanden).
Schon seltsam, dass sich heute so ziemlich alle Bewegungen, die sich für radikal halten und gegen das tatsächliche oder eingebildete Establishment aufbegehren, gegen das „System“ also, sich als Symbol ausgerechnet diesen gescheiterten Attentäter Guy Fawkes aussuchen. Über die Ehrbarkeit ihrer religiösen Motive lässt sich ziemlich gut streiten (Attentatsziel James I. zum Beispiel gilt als deutlich toleranter den Katholiken gegenüber als seine Vorgänger), und auch die politischen Motive, die nicht religiöser Natur sind, scheinen ziemlich zweifelhaft, darunter vor allem nationalistische, und das heißt in diesem Fall antischottische Ressentiments (James I. war zugleich James VI. von Schottland und war soeben in Begriff mit Schottland eine Union zu schmieden – richtig, genau die, von der sich die Schotten kürzlich so gerade eben nicht verabschiedet haben).
Die aktuellen Revolutionäre ficht das nicht an. Vermutlich weil sie’s nicht wissen (möchten?). Übrig geblieben ist nur, dass Guy Fawkes dieser Typ war, der das Parlament in die Luft sprengen wollte, und weil die da oben ja bekanntlich alle Verbrecher sind, kann das schon mal nichts Schlechtes gewesen sein. So kam er auch zur postumen Ehre der Maske (ein interessanter Artikel dazu erschien gerade im Stern).
Dabei hatten er und seine Mitverschwörer sicherlich alles mögliche im Sinn, aber sicher keine Volksrevolution. Genauso wenig wie Spartakus einen Volksaufstand für Freiheit und Demokratie angeführt hat, und die Aufständischen auf dem Sklavenschiff Amistad für die allgemeine Abschaffung der Leibeigenschaft gekämpft haben.
Remember, Remember
The 5th of November
Gunpowder Treason and Plot
We see no reason
Why Gunpowder Treason
Should ever be forgot!
Aber was bedeuten schon die paar historischen Fakten, wenn eine Maske alles ist, was man braucht, um seinen revolutionären Furor zu bezeugen? Oder auch nur, um eine Nacht lang Spaß zu haben.
Na dann, bollert mal schön…