Remember, Remember…

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(c) Wikipedia

Jetzt böllern sie wieder. Kaum 48 Stunden hat die Waffenruhe gehalten. Gerade sind die letzten Hlloween-Knaller verraucht, schon kommen unsere beiden Wachkatzen wieder mal mit angelegten Ohren von draußen zur Küchentür herein geschossen, weil irgend ein jugendlicher Knallkopp vor unserem Gartentor einen China-Kracher gezündet hat.

Bonfire Night steht an in England, auch Guy Fawkes Night genannt, nach dem einzigen der 13 Gun-Powder Plot-Verschwörer, an dessen Namen man sich aus Schulzeiten dunkel erinnern kann. Den aber kennt hier jedes Kind, nicht zuletzt wegen der weißen Schnurrbart-Maske, die durch den Film V wie Vendetta bekannt wurde, von der Hackertruppe Anonymous und der Occupy-Wallstreet-Bewegung übernommen wurde.

Wer zum Jahreswechsel nach London reist, und um Mitternacht überall auf den Straßen Raketen und Böller erwartet, der wird ziemlich enttäuscht sein. Sicher, ein großes Feuerwerk gibt es, auf der Themse am London Eye. Wer dahin und am Ende auch noch was sehen will, muss etliche Stunden vorher erscheinen (in diesem Jahr werden sogar erstmals Tickets ausgestellt, Eintritt: 10 Pfund), darf dann meist im Londoner Schmuddelwetter von einem Bein aufs andere treten, zu Big Ben hoch schauen und sich wundern, warum die Zeiger seiner Uhr immer langsamer werden, wenn sie Richtung 12 vorrücken. Das Ergebnis sind eine volle Blase, kalte Füße und warmer Sekt, bevor es endlich rummst. Einzige Alternative: Fernsehsessel und BBC-Übertragung.

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Ansonsten bleibt London knalltechnisch zum Jahreswechsel auffallend ruhig. Weil sich die Londoner schon verausgabt haben. An Halloween. Und eben jetzt. In den großen Parks wie Battersea werden in dieser Nacht unter dem Gejohle der Umstehenden große Feuer entzündet und Guy-Fawkes-Puppen verbrannt, in Memoriam ihm und seinen Spießgesellen, die im Jahre des Herrn 1605 in katholisch-fundamentalistischem Eifer König James I. mitsamt dem versammelten protestantischen Hochadel zum Teufel bomben wollten, am Tag der Parlaments-Eröffnung in Westminster Palace. Remember, remember, the 5th of November… – den Kollateralschaden hätten sie dabei billigend in Kauf genommen, nämlich jene beistehenden Adeligen, die katholisch waren – also in ihren Augen unschuldig. Aber wenn’s ums Große Ganze geht, darf man nicht so kleinlich sein.

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Hätte es geklappt, wäre der Knall… ordentlich gewesen. Also, ziemlich ordentlich sogar. Vom Parlament und dem umstehenden Stadtviertel wäre wohl nichts mehr übrig geblieben, so viel Schießpulver hatten die Verschwörer unter dem Parlament gebunkert (in einem Weinkeller, den sie gemietet hatten – so schlicht können Pläne manchmal sein). Und England sähe heute sicherlich sehr anders aus. Aber der Plot wurde entdeckt, weil Blut dicker als Wasser ist, und einer der Verschwörer wenige Tage zuvor seinen Schwager wenig subtil per Brief auf das geplante Feuerwerk aufmerksam machte. Das bezahlte Guy Fawkes mit dem Leben (natürlich erst, nachdem er mit den robusten, epocheüblichen Methoden überredet wurde, die Namen seiner Mitverschwörer preiszugeben, die dann ebenfalls den Weg zum Galgen fanden).

Schon seltsam, dass sich heute so ziemlich alle Bewegungen, die sich für radikal halten und gegen das tatsächliche oder eingebildete Establishment aufbegehren, gegen das „System“ also, sich als Symbol ausgerechnet diesen gescheiterten Attentäter Guy Fawkes aussuchen. Über die Ehrbarkeit ihrer religiösen Motive lässt sich ziemlich gut streiten (Attentatsziel James I. zum Beispiel gilt als deutlich toleranter den Katholiken gegenüber als seine Vorgänger), und auch die politischen Motive, die nicht religiöser Natur sind, scheinen ziemlich zweifelhaft, darunter vor allem nationalistische, und das heißt in diesem Fall antischottische Ressentiments (James I. war zugleich James VI. von Schottland und war soeben in Begriff mit Schottland eine Union zu schmieden – richtig, genau die, von der sich die Schotten kürzlich so gerade eben nicht verabschiedet haben).

Die aktuellen Revolutionäre ficht das nicht an. Vermutlich weil sie’s nicht wissen (möchten?). Übrig geblieben ist nur, dass Guy Fawkes dieser Typ war, der das Parlament in die Luft sprengen wollte, und weil die da oben ja bekanntlich alle Verbrecher sind, kann das schon mal nichts Schlechtes gewesen sein. So kam er auch zur postumen Ehre der Maske (ein interessanter Artikel dazu erschien gerade im Stern).

Dabei hatten er und seine Mitverschwörer  sicherlich alles mögliche im Sinn, aber sicher keine Volksrevolution. Genauso wenig wie Spartakus einen Volksaufstand für Freiheit und Demokratie angeführt hat, und die Aufständischen auf dem Sklavenschiff Amistad für die allgemeine Abschaffung der Leibeigenschaft gekämpft haben.

Remember, Remember

The 5th of November

Gunpowder Treason and Plot

We see no reason

Why Gunpowder Treason

Should ever be forgot!

Aber was bedeuten schon die paar historischen Fakten, wenn eine Maske alles ist, was man braucht, um seinen revolutionären Furor zu bezeugen? Oder auch nur, um eine Nacht lang Spaß zu haben.

Na dann, bollert mal schön…

Mülleimer für London

AbfalleimerDer Termin war früher zuende als gedacht. Ich trat ich auf die Whitechapel High Street, und zog eine Banane aus meinem Rucksack, während ich Richtung Finanz-Viertel schlenderte. Die Bananenschale ist bekanntermaßen die in jeder Hinsicht eleganteste Verpackung der Welt (und ihr Prinzip in weiten Teilen der Verpackungs-Industrie bis heute unverstanden). Wenn sie aber ihren Dienst getan hat, bleibt das Problem allen Mülls: wohin damit?

Bis ich mir die Banane nach und nach einverleibt hatte, war ich am Rand der City of London angelangt, und die Abfalleimer, die bis gerade noch alle paar Meter die Einkaufsstraße von Whitechapel gesäumt hatten, ließen jetzt auf sich warten. Wird schon gleich wieder einer kommen, dachte ich so fröhlich wie naiv, und trug die Bananenschale weiter wie eine Trophäe vor mich her, unter den teils erstaunten, teils skeptischen Blicken der Gehweh-Bevölkerung, die sich binnen weniger Schritte von levantinisch inspiriertem Multikulti in Armani-Aschgrau, Aschblau und Schwarz verwandelte.

Wird schon gleich einer kommen, sagte ich mir einen Kilometer weiter immer noch, wobei meine innere Stimme mittlerweile deutlich weniger überzeugend klang. Erstaunlich: Die Straßen und Bürgersteige waren ohne Abfalleimer sauberer, obwohl nicht weniger Menschen unterwegs waren. Ob alle Versicherungsbroker und Key-Account-Manager das Trio aus Chicken-Wrap-Karton, Mulitvitaminsaft-Fläschchen und Crisps-Tüte ihres Sainsbury-Sandwich-Deals nach der Mittagspause auf der obligatorischen Parkbank zurück an ihren Schreibtisch schleppen? Oder ob nur die Straßenreinigung schneller ist?

CityOfLondonWas auch immer der Grund – mein Problem blieb: kein Abfalleimer, nirgends. So trug ich meine Bananenschale vorbei an der Gurke (vulgo: the Gherkin, der emblematische Norman-Foster-Glaspalast), und immer verdrießlicher an den anderen blitzblanken Hochhäusern der Hochfinanz – bis das Schaufenster eines Bürgerbüros mich innehalten ließ. Ein Holzmodell der City war dort ausgestellt. Der zugehörige Text verwies auf künftige Planungsaktivitäten der Stadt, lud den interessierten Passanten ein, sich drinnen über Details zu informieren, und – vor allem – Vorschläge zur Verbesserung des städtischen Zusammenlebens zu machen. Ich betrat also die Räumlichkeiten mit vorgehaltener Bananenschale und bedeutete den beiden freundlichen Herrschaften am Empfang, dass ich da so eine Idee hätte…

Ob jener, mit handfester Beweiskraft vorgetragene Vorschlag Einfluss auf die Entscheidung der Londoner Stadtväter gehabt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls hat jetzt, ein Jahr später, die Stadtverwaltung entschieden, 20 Abfalleimer in Bishopsgate aufzustellen – „versuchsweise“ wie der Evening Standard verlautet – um der wachsenden Vermüllung der Londoner City entgegen zu wirken, vor allem dort, wo die Touristen sich tummeln, also zwischen Shoreditch, Brick Lane und Spitalfields Market.

Meine prophetische Begabung hält sich in Grenzen. Dennoch wage ich hier die Prognose, dass dieser „Versuch“ einen gewissen positiven Effekt auf die allgemeine Stadthygiene haben wird. Langfristige Feldversuche in Siedlungen unterschiedlicher Größe und in unterschiedlichen Kulturkreisen während der vergangenen zwei bis drei Millennia haben recht eindrucksvolle empirische Hinweise darauf geliefert, dass Menschen Mülleimer nutzen, wenn sie ihnen angeboten werden.

Nun ist von Wiedereinführung der Mülleimer die Rede, und der Grund dafür, dass man diese überaus praktische Einrichtung in der Londoner City einst abgeschafft hat, ist ein betrüblicher: Vor ziemlich genau 20 Jahren, im April 1993 explodierte ein mit Sprengstoff vollgestopfter LKW in Bishopsgate und verheerte den gesamten Straßenzug des Finanzdistrikts. Ein Nachrichtenfotograf kam ums Leben, 44 Menschen wurden verletzt, 350 Millionen Pfund Sachschaden.

CCTVMedien, die City und Bankenverbände riefen damals nach mehr Sicherheit auf Londons Straßen, und alle waren sich einig, dass etwas getan werden muss, um weitere Anschläge zu verhindern. Aber was? Alle LKW von den Straßen verbannen? Das ging natürlich nicht. Neben der Einrichtung von Straßen-Checkpoints und tausenden Überwachungskameras wurde in einem typischen Fall von Übersprungshandlung entschieden, alle Mülleimer zu demontieren. Mülleimer hatten beim Anschlag zwar keinerlei Rolle gespielt, aber andernorts in London waren die gusseisernen Gesellen von der IRA perfide als Splitterbomben missbraucht worden – was der Grund dafür ist, dass man Mülleimer auch in der Tube und den meisten Bahnstationen vergeblich sucht.

Als ob es für jemandem mit finsteren Absichten in einer Stadt nicht genügend Alternativen gäbe, eine Bombe zu platzieren! Gibt es einen verborgenen Sinn hinter solchen Maßnahmen? Oder gehören sie in die selbe Kategorie wie das Flüssigkeitsverbot an Bord von Flugzeugen: Erhöht zwar nicht die Sicherheit, aber das Sicherheitsgefühl der Passagiere?

Im nun stattfindenden Feldversuch jedenfalls will die Huffington Post einen allgemeinen Trend zu mehr gesundem Menschenverstand ausgemacht haben in Sachen Sicherheitsdenken. Auch der Bahnnetz-Betreiber Network Rail überlasse es inzwischen den Stations-Managern der Bahnhöfe, ob sie Mülleimer aufstellen oder nicht.

Entspannung an der Terrorismus-Front also. So entspannt, dass man die allgegenwärtigen CCTV-Kameras in die neu aufgestellten Mülltonnen entsorgen würde, ist man allerdings nicht. Längst nicht.

Olympische Kriegs-Spiele – Die Nervosität steigt

Kreisende Helikopter, Jagdflugzeuge mit Abschussbefehl, Scharfschützen auf Dächern von Wohnhäusern, daneben Luftabwehr-Raketen, sowie einige zehntausend Sicherheitskräfte am Boden: Polizisten, Soldaten, private Dienste. Die Nervosität steigt bei Politik, Behörden, Organisatoren und Medien – und auch bei den Sicherheitskräften. Von der typischen „stiff upper Lip“ der Briten, ihrer stoischen Ruhe im Angesicht von drohendem Unbill, ist zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier nicht viel zu spüren. Der Grund dafür scheint ein sieben Jahre altes Trauma zu sein.

Geschafft: Heathrow, Zollkontrolle – die Aussicht auf zweistündige Warteschlangen bei der Einreise hatte bei mir schon vorsorglich für Stressflecken gesorgt, auch wenn die Behörden im Vorfeld beteuert hatten, dass sich das Chaos vom Thronjubiläum nicht wiederholen würde, als zehntausende Einreisewillige stundenlang auf die Abfertigung warten mussten. Heute ist Hauptanreisetag für die Olympischen Spiele, die Organisatoren erwarten Athleten, Funktionäre, Medienvolk.

Doch als ich mich in den Warteschlangen-Slalom vor den Zoll-Büdchen einreihe, ist die Lage entspannt. Ich bin schneller durch die Abfertigung als üblich – natürlich, weil viel mehr Beamte im Einsatz sind als sonst (außerdem ist man jüngst auf den Trichter gekommen, die Dienstschichten der Zollbeamten mit den Ankunftszeiten des größten 747- und A380-Ansturms zu synchronisieren. Wer ihnen wohl diesen Tipp gegeben hat?)

Trotzdem ist die Stimmung angespannt, eine Unwohlsein ist zu verspüren. Der Ton der Meldungen in den vergangenen Tagen und Wochen spiegelt dieses diffuse, ungute Gefühl wieder:

  • Vor zwei Wochen tödliche Messerstecherei in einer Shopping Mall in Ost-London, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, wo gerade Deligierte das Olympische Dorf besuchen. Düstere Ahnung machen die Runde in den Kommentar-Spalten;
  • Anfang Juli (6.7., Evening Standard): Ein Reisebus wird auf der Autobahn M6 auf offener Strecke angehalten und von schwer bewaffneten Polizeieinheiten gestürmt. Die Passagiere werden „at gunpoint“ (Gewehr im Anschlag) im Gänsemarsch hinausgeführt, müssen sich auf der Fahrbahn mit deutlichem Abstand aufgereiht hinsetzen und dürfen nicht miteinander sprechen, während sie sich von Sprengstoffspürhunden beschnüffeln lassen müssen. Vier Stunden lang werden sie so im Guantanamo-Stil festgehalten, niemand teilt ihnen den Grund mit für die Freiheitsberaubung. Derweil wird die Stelle im Umkreis von mehreren Kilometern abgeriegelt. Wie sich schnell herausstellt, hat eine elektronische Zigarette, also ein Kippen-Ersatz, den Alarm ausgelöst. Sicherheitsfachleute geben sich überrascht: Darüber, dass so ein Fehlalarm erst jetzt vorkommt und nicht schon viel früher passiert ist. Mit weiteren müsse aber gerechnet werden, heißt es. Ansonsten scheint sich niemand aufzuregen;
  • Am 7. Juli (Sunday Telegraph) wird in der Nähe des Olympia-Geländes ein Terrorverdächtiger festgenommen, der Geheimdienst MI5 vermutet einen Selbstmordattentäter. Insgesamt werden in dieser Woche 14 Menschen wegen Terrorverdachts verhaftet. Was mit ihnen geschieht, bleibt im Unklaren, auch was ihnen konkret vorgeworfen wird;
  • Mittwoch vergangener Woche (11.7., BBC, Evening Standard) stellt sich heraus: Der private Sicherheitsdienst G4S sieht sich nicht in der Lage, die vertraglich zugesicherten 10.000 Sicherheits-Leute zu stellen, angeblich aufgrund von Trainings-Engpässen. Daraufhin verkündet die britische Innenministerin Theresa May zähneknirschend, dass zusätzlich zu den 13.500 bereits geplanten Soldaten weitere 3.500 hinzugezogen werden, um an allen wichtigen Punkten Personen und Taschen zu kontrollieren und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen. Die meisten Soldaten werden aus Deutschland herangezogen, kommen gerade aus Afghanistan oder sind auf dem Weg dorthin. Aufruhr in Medien Parlament über die Amateurhaftigkeit, mit einer solchen Nachricht kurz vor Knapp rauszurücken. Die Forderung wird laut, dass „Köpfe rollen müssen“, nicht nur beim Sicherheitsdienst, denn Konventionalstrafen bei Nichteinhalten des Vertrages sind nicht vorgesehen…;
  • Freitag, 13. Juli (Metro): Ein Insider der Pleite-Sicherheitsfirma, ein so genannter Whistleblower, schätzt das Risiko eines Attentats auf die Olympischen Spielstätten auf 50 Prozent ein. Die bislang eingestellten Sicherheitskräfte seien schlecht ausgebildet, und bei Test mit versteckten Messern, Bombenattrappen, Schuss- und Schlagwaffen komplett durchgefallen;
  • unterdessen gehen die militärischen Vorbereitungen für die Olympischen Kriegs-Spiele weiter, der größte Militäraufmarsch in London, seit dem Zweiten Weltkrieg: Auf der Themse liegen mehrere Schiffe der Royal Navy in Bereitschaft vor Anker, darunter ein Hubschrauber-Träger: Tiger-Kampfhubschrauber werden rund um die Uhr über den neuralgischen Punkten kreisen, während unten die „Jugend der Welt“ zusammen kommt, ebenso wie je zwei TyphoonEurofighter. Im Falle eines Falles haben sie bereits jetzt den Befehl, auch zivile Flugzeuge abzuschießen. Auf den Dächern von mehreren hochgelegenen privaten Wohnhäusern werden zur Zeit Batterien von Boden-Luftraketen installiert – trotz des massiven Protestes von Anwohnern. Wie teuer die Sicherheit der Olympischen Spiele wird, wird sich nie genau beziffern lassen. Viele Posten sind in allgemeinen Militär- und Polizeibudgets versteckt. Eins ist aber jetzt schon klar: Es werden die aufwändigsten und teuersten Spiele aller Zeiten in dieser Hinsicht.

Überzogen? Genau richtig? Nicht genug? Wie realistisch das alles ist, wie notwendig all diese Sicherheitsmaßnahmen, können wohl nur wenige beurteilen – ich gehöre nicht dazu, und ich fürchte, auch die, die es einschätzen können sollten, haben nur eine relativ vage Vorstellung vom tatsächlichen Risiko. Was aber ist überzogene Panikmache, was ist gezielte Desinformation, um potentielle Terroristen abzuschrecken, was sind zu Fakten aufgeblasene Geheimdiensthinweise? Auch weiß ich nicht, wie das Ausmaß der Sicherheitsmaßnahmen im Vergleich zu Peking und Athen zu sehen ist (zumindest bei Peking darf man aber vermuten, dass vieles einfach nicht bekannt wurde). Wie würden die Sicherheitsmaßnahmen im Jahr 2012 bei Olympischen Spielen in Deutschland aussehen? Genauso?

Vielleicht. Doch diese Nervosität, diese Angst vor, und Reaktion auf tatsächliche und/oder eingebildete Bedrohungen, scheint mir weit übers Maß hinaus zu gehen. Kühle Rationalität, pures Kalkül sieht anders aus. Was ist aus dem britischen Imperativ für alle Lebenslagen geworden, „to keep a stiff upper lip“? Aus der Gabe, auch im Angesicht von dräuenden Gefahren nicht die Ruhe zu verlieren, Haltung zu bewahren?

Sie scheint weit weg. Der Grund: Das 7/7-Trauma: Die vier Bomben explodierten mitten in der Londoner Innenstadt und rissen 52 Menschen aus dem Leben, mehr als 700 wurden verletzt bei den 7/7 Attacs, wie sie genannt werden, die Anschläge am 7 Juli 2005. Es war der Tag, nachdem London die Olympischen Spiele 2012 gewonnen hatte. Der Schock sitzt tief, bis heute, die Erinnerung ist immer da. Wer sich mit Londonern unterhält, kann das spüren, auch bei denen, die nicht zu Hysterie neigen.

Seit den Juli-Attentaten haben die Londoner jede Maßnahme unterstützt und gut geheißen, die die Sicherheit vor solchen Attacken vorgeblich oder tatsächlich steigert. Der auswärtige Besucher ist überrascht bis bestürzt über die Allgegenwart von → CCTV-Sicherheits-Kameras samt neuester Software für Kennzeichen- und Gesichtserkennung, gleich ob auf öffentlichen Plätzen und Straßen, Privatgeländen, in U-Bahn, Kneipe, Museum. Sicherheitsabfragen beim Bankgeschäft, am Telefon, tausende von Passwörtern werden klaglos hingenommen, solange es nur der Sicherheit dient. Die für die Spiele befürchteten, stundenlangen Warteschlangen bei der Einreise werden als Skandal empfunden, schlimmer aber wäre die unerkannte Einreise von möglichen Terroristen mit gefälschten Papieren, weshalb der Independent (13.7.) bereits erweiterte Befugnisse des Militärs im Landesinneren fordert.

Das gleiche Blatt meint heute (16.7.) wiederum in gleich großer Aufmachung, man müsse dringend die „Whatever it takes“-Politik überdenken, und dürfe nicht für die Illusion von absoluter Sicherheit die bürgerlichen Freiheitsrechte komplett verraten. Die meisten Briten, und vor allem die Londoner scheinen anderer Meinung zu sein – für mich ein Zeichen für gesteigerte Verunsicherung angesichts dessen, was da Ende des Monats auf die Insel zukommt.

Die kürzliche Meldung, dass mehr Menschen in Großbritannien durch Insektenstiche ums Leben kommen als durch terroristische Anschläge, beruhigt da nur wenige.