Nein, ich mag keine Zeitung mehr lesen. Ich will den Fernseher nicht anmachen. Und online? Puhh… – Jimmy-Savile-Skandal, BBC-Skandal, Murdoch-Skandal, Bankenkrise, Eurokrise, US-Wahlen, Pasty Tax, Granny Tax, die Royals wahlweise Oben oder Unten Ohne. Und Olympia, immer wieder Olympia!
Das Jahr wird alt. Und wer alt wird, neigt dazu, zurück zu blicken auf das was war. Das Alter bringt es mit sich, dass es dabei reichlich sentimental zugeht. Ist offenbar ein Naturgesetz. Seit Wochen sind sämtliche Sendungen und Seiten zugebappt mit all dem, wovon wir in den vergangenen zwölf Monaten schon zu viel hatten – aber offenbar nicht genug.
Jedenfalls überbieten sich die hiesigen Gazetten jeder Couleur mit Jahres-Rückblicken und -Hitlisten: die 10 größten Hits, die 10 schlechtesten Kinofilme, die 5 besten Hitlistenübersichten über Hitlisten. Time Out London kürt die 10 übelsten Weihnachtslieder (Nummer 1: Mary’s Boychild von Boney M.), die Times erinnert an die größten Skandale des Jahres, wobei wenig überraschend die Londoner Groß-Banken den Löwenanteil haben (Barclays und die Libor-Manipulation, HSBC und die Geldwäsche, RBS und ihr kompletter Computer-Meltdown).
Dann noch die Gewinner und Verlierer des Jahres, Mann des Jahres, Frau des Jahres, Jugendlicher des Jahres (kein Scherz: Die Times kürte eine junge Afghanin zur „Young Person of the Year„), und – natürlich – Sportler des Jahres. Das scheint sowieso das Wichtigste im Jahr 2012 gewesen zu sein – auf allem, was bedruckt werden kann, und auf allen Kanälen: ein Meer aus Blau-Weiß-Rot, zum Sieg gereckte Arme, in Händen vergrabene Gesichter, ergriffene Blicke, Jubel, Verzweiflung, es wird geheult und geschluchzt, was die Tränendrüse hergibt.
Bisweilen beschleicht mich der Eindruck, die Kollegen in den Zeitungs- und Fernsehredaktionen haben sich im sommerlichen Olympia-Rausch überkauft, und müssen jetzt schnell noch alles an Bildmaterial raushauen, was sie auf dem Archiv-Server zusammen kehren können, um damit ihre Souvenir-Editions vollzustopfen.
Und wenn das alles noch nicht reicht, dann gibt es ja immer noch unzählige ungesendete Bilder vom Queen-Jubiläum, dazu Lizzys Weihnachtsbotschaft, die sich den Briten gegenüber demütig gibt, und das auch noch in 3D, zum ersten Mal! So nah war die Queen ihrem Volk noch nie!
So, was haben wir noch? Ach ja, das Wetter. Das Dauer-Gemopper über selbiges ist ja seit Jahrmillionen genetisch im Engländer verankert, und dient kommunikationstechnisch als Rettungsanker für sämtliche Alltagssituationen, die in peinliches Schweigen zu münden drohen – also alle. In diesem Jahr aber hatte der Inselbewohner so viel Grund zum Jammern wie noch nie. Das nasseste Jahr seit Menschengedenken (oder zumindest seit 100 Jahren: 1911 gab zum ersten Mal offizielle Daten. Aber das klingt natürlich nicht so spektakulär wie „seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“). Das vermeldet die Times. Überraschender Weise aber nicht im Ton ewiger Verdrossenheit, sondern fast triumphierend und ein wenig aufgeregt. Denn der Negativrekord gilt nur, wenn es in den letzten Tagen des Jahres so weiter regnet wie bisher. Dann übertrumpfen wir sogar das Hundswetter im Jahr 2000.
Na klar, das schaffen wir leicht, denke ich mit Blick aus dem Fenster, und wundere mich über diese Briten! Nörgelei hin oder her – noch aus dem miesesten Sommer machen sie ein Wettrennen. Und auf Wettrennen kann man Wetten abschließen. Smashing! Im Frühjahr galt wegen Wasserknappheit noch der Hosepipe Ban, also das staatliche Verbot, seinen Rasen zu wässern. Hätte man da beim Buchmacher William Hill 100 Pfund darauf gewettet, dass dies das nasseste Jahr in der Geschichte des Wetters wird, man wäre um 10.000 Pfund reicher.
Je nun, genug geschaut auf Vergangenes. Die Jahresendberieselung ist morgen überstanden und dann heißt es: Blick voraus, auf das, was kommt! Da hätten wir im nächsten Jahr das 150-jährige Jubiläum der englisches Fußballiga und 200 Jahre Jane Austens „Sinn und Sinnlichkeit“, um nur zwei zu nennen. Wird natürlich alles mächtig groß gefeiert werden. Ach, und Kate wird einen Thronfolger zur Welt bringen, egal, ob es Junge oder Mädchen wird. Schon am Tag, als ihre Schwangerschaft vorzeitig bekannt wurde, haben die Buchmacher Wetten darauf angenommen, wie es denn heißen wird: James, William, Elizabeth, Victoria, oder doch Diana? Da werden wir mal wieder senden, bloggen und drucken, was das Zeug hält… – hoffentlich haben wir für die Silvesterfeier genug Alkohol. Und der Fernseher bleibt aus.