Things to do (when in London) : Gut Essen Gehen

1-P1020278Halt! Einen hab ich noch: Was wir hier besonders genossen haben, war die riesige Auswahl an exzellenten Gaststätten jedweder Provinienz. 30.000 Restaurants soll es in London geben, von der Dönerbude bis zum 3-Sterne-Haus. Und wenngleich der famose Bürgermeister Boris Johnson hemmungslos übertreibt, wenn er sagt, es gebe in der britischen Hauptstadt mehr Restaurants mit Michelin-Stern(en) als in Paris, so ist es doch erstaunlich, welche rasante Entwicklung die hiesige Gastronomie in den vergangenen Jahren genommen hat.

Hier kann man auf Weltniveau fürstlich speisen, und – wenn man weiß wie – zu Preisen deutlich unter denen, die man in Deutschland für vergleichbare Qualität berappen muss. Im Folgenden also einige

Tipps und Daumenregeln für gutes Essen in London:

1. Mittags essen gehen, oder früh am Abend, Sonntage/Feiertage meiden (meist überteuert, und aus unserer Erfahrung heraus sogar in sonst hervorragenden Restaurants oft unterirdische Qualität)

2. immer reservieren! „Wir haben Urlaub, und wollen uns nicht mit Terminen und Reservierungen stressen. Wir schauen mal, wann wir Hunger haben und gehen spontan in ein Restaurant, das uns gefällt.“ Das ist eine sympathische Idee. Leider funktioniert sie nicht, jedenfalls nicht in London. Wer nur zu zweit unterwegs ist, kann ab und an Glück haben, aber in aller Regel fährt man besser damit, anzurufen oder online einen Tisch zu bestellen, um Frust zu vermeiden. London hat so viele hervorragende Restaurants, dass es immer möglich ist, sich zuerst zu fragen: Was will ich heute machen, wo will ich hin? Und dann ein guten Restaurant in der Gegend zu finden (siehe Liste nach Stadtvierteln).

3. nach Set Lunch-Offers, Early Dinner Offers, Pre-Theatre Menus Ausschau halten. Aufpassen: Viele Touri-Fallen bieten so etwas an, aber eben auch viele wirklich gute Restaurants, teilweise mit Michelin-Stern, wo man für 20-30 Pfund auf höchstem Niveau speisen kann. Und das nicht irgendwo in der Pampa, sondern mitten in den beliebtesten Vierteln. Unser Top-Favorit in Sachen Preis-Leistung ist das Clos Maggiore in Covent Garden (siehe Liste), wo man bis 18 Uhr für 27 Pfund ein hervorragendes Drei-Gänge-Menü serviert bekommt, inklusive einer halben Flasche Wein – und der ist kein billiger Tafelwein, sondern stets ein hervorragender Tropfen.

Mit diesen drei Regeln kann man nicht falsch liegen. Sie mögen ein wenig spießg klingen, aber es lohnt sich, sie zu beherzigen. Denn natürlich gibt es auch das umgekehrte: Schlechtes Essen für teures Geld. So manches Mal sind auch wir auf ein gemütliches Ambiente hereingefallen, oder wurden Opfer unserer hungergetriebenen Ungeduld. We learned it the hard way, wie der Engländer sagt. Nach solchen Erfahrungen waren wir oft nicht nur satt, sondern bedient.

Um dem Leser dieses kleinen Blogs diese Erfahrung zu ersparen, haben wir in dreijähriger, selbstloser Aufopferung folgende Liste erarbeitet mit Restaurants, in denen wir hervorragend gegessen und getrunken haben, wo das Ambiente angenehm und die Bedienung freundlich war. Der Preis ist bei den meisten Lokalen gehoben aber nicht abgehoben (Hauptgerichte zwischen 12 und 22 Pfund, Menüs 20-40 Pfund). Hinzuzufügen ist wohl, dass wir eine eher lockere Atmosphäre bevorzugen. Die meisten unserer bevorzugten Restaurants fallen eher in die Kategorie smart-rustikal als gediegen. Tischtuch und Damastservietten sind nicht so unser Ding. Aber wenn das Essen herausragend ist, nehmen wir selbst das in Kauf…

Soho:

10 Greek Street Modern British/French (der Name ist zwar nicht Programm, aber Adresse: 10 Greek Street, Soho W1D 4DH, 020 7734 4677

Arbutus – Modern British/French, Michelin Stern, preiswertes Lunch und Pre-Theatre-Angebote (63-64 Frith Street, London W1D 3JW, 020 7734 4545)

Mele e Pere – modern Italienisch, Michelin-Empfehlung, Lunch Specials und Pre-Theatre Menues (46 Brewer Street, Soho, W1F 9TF, 020 7096 2096)

Bocca di Lupo  – modern Italienisch, Michelin Bip Gourmand: gut und günstig (12 Archer Street, W1D 7BB, 020 7734 2223)

Bestes Eis nördlich der Alpen: Gelupo, Soho (gegenüber Bocca di Lupo)

1-IMG_1758Herman the German – Deutsch, Curry-Wurst & Co, erst vier Jahre alt, aber schon eine feste Londoner Institution (Old Compton Street, W1D 5JU, Filialen auch an Charing Cross und in Fitzrovia)

Barshu – chinesisch, Michelin-Empfehlung, besonders zu empfehlen: die Gerichte mit Szechuan-Pfeffer, der die Zunge leicht betäubt (28 Frith Street W1D 5FL)

Yauatcha – Chinesisch, 1 Michelin-Stern, Tipp: 9-Gang Tasting Menü: 50 Pfund. Achtung! Nicht nervös werden: Nach den ersten 5 Gängen bezweifelt man, je satt zu werden. Die Angst ist verständlich, aber unbegründet (15-17 Broadwick Street, Soho W1F 0DL)

Copita – Spanische Tapas, unbedingt probieren: Mushroom Croqueta (27 D’Arblay St Soho W1F 8EP)

Mayfair:

The Only Running Footman – British Gastro-Pub (5 Charles St, Mayfair, W1J 5DF, 0207 499 2988)

Momo, Marokkanisch in einem kleinen Food Court abseits der geschäftigen Regent Street, Tipp: Thunfisch Tartar, Wood Pigeon Pastilla (25, Heddon Street, W1B 4BH, 0207 434 4040)

Westminster/St. James:

Quilon – Indisch, Michelin-Stern. Tipp: 5-Gang Tasting Lunch-Menü für 30 Pfund – genial (41 Buckingham Gate Victoria SW1E 6AF +442078211899)

Clerkenwell:

Medcalf – Modern British in einer ehemaligen Metzgerei, fleischlastig Michelin-Empfehlung (40 Exmouth Market, London, EC1R 4QE, 020 7833 3533)

Modern Pantry – Modern British, Michelin-Empfehlung (47-48 St John’s Square, Clerkenwell, EC1V 4JJ 020 7553 9210)

Spitalfields:

St. John‘s Bread and Wine – Modern British, eher Tapas-Artig, viele Kleinigkeiten zum Teilen gedacht mit hervorragendem Brot, Bip Gourmand: Preiswert und lecker (94-96 Commercial Street
London, E1 6LZ)

Androuet – französisch/schweizerisch, käselastig, was wenig überrascht, da in einem Käseladen gelegen (Spitalfields Market, 107b Commercial Street E1 6B, 020 7375 3168)

Bermondsey/London Bridge:

Casse Croûte – bodenständig Elsässisch, gemütliche Atmosphäre, wenige Tische, Michelin Bib Gourmand (109 Bermondsey St, SE1 3XB)

Tentazioni gehoben Italienisch ( 2 Mill St, London SE1 2BD)

Story – abgehobenes Menü mit 12-14 Gängen, für Leute mit gesteigertem Spaß an ausgefallenem Essen, weniger, um sich den Magen voll zu schlagen, Michelin-Stern (201 Tooley Street, SE1 2OE)

Covent Garden:

Clos Maggiore – Modern British/French, Michelin-Empfehlung, bestes Preis-Leistungs-Verhältnis in London, Pre-Theatre Offer von Mittags bis 18 Uhr, unser persönlicher Favorit *** (Covent Garden, 33 King Street, WC2E 8JD)

Green Man and French Horn – French/Modern British, Schwesterreataurant des Soif in Battersea (54 St.Martins Lane, London, WC2N 4EA )

The Wellington –  ordentliche Burger und gute Fish‘n‘Chips in netter, klassisch-gediegender Pub-Atmosphäre (351 Strand, London, WC2R 0HS, 020 7836 2789)

Kensington/Knightsbridge:

Babylon at Roof Gardens – Modern British/French, Michelin-Empfehlung, Einer, wenn nicht der schönste Dachgarten Londons, mit altem Baumbestand und Teichanlagen, in denen sich Flamingos tummeln (99 Kensington High Street, W8 5SA Kensington)

Ottomezzo – Italienisch, geniale Steinpilz-Pizza für 13 Pfund (2-4 Thackeray Street, Kensington, W8 5ET, 020 7937 2200)

Comptoir Libanais – Street Food von der Levante, Kette mit Filialen in Soho, Marylebone Flughafen Heathrow. Einfach, gut, günstig, lecker. Achtung! Zur Mittagszeit oft Schlangen (1-5 Exhibition Road, South Kensington, 020 7225 5006)

Amaya – Indisch, Michelin-Stern, Tipp: Weekend Lunch zwischen 22,50 und 37,50 Pfund, zwischen 6 und 7 Gänge. Nicht nervös werden, wenn die ersten Gänge sehr überschaubar klein bleiben, nicht Naan nachbestellen und daran satt essen – die letzten beiden Gänge sind Sattmacher (Halkin Arcade, Motcomb Street, London SW1X 8JT)

Battersea:

Soif – French/Modern British (27 Battersea Rise, London SW11 1HG)

Ealing/Chiswick:

Charlotte‘s Place – Modern British/French, Michelin-Empfehlung, Tipp: Early Dinner Offer: 3 Gänge plus Aperitif: 27 Pfund (16 St. Matthew’s Road, Ealing W5 3JT, 020 8567 7541)

Charlotte‘s Bistro – Schwester-Restaurant von Charlotte‘s Place (6 Turnham Green Terrace Chiswick W4 1QP)

Monty‘s – Nepalesisch, einfach, gut und preiswert (1 The Mall, Ealing Broadway, London, W5 2PJ, 020 8567 5802)

Barnes:

The White Hart – British Gastro-Pub, unten Bar-Menü, oben Restaurant – das englische Wort Hart hat übrigens nichts mit dem Herzen zu tun, sondern bezeichnet einen Hirschbock (Riverside, Barnes SW13 0NR, 020 8876 5177)

Richmond:

Al Boccon di’Vino – Italiener, striktes Regiment: Ankunft 19 Uhr, gegessen wird,was auf den Tisch kommt: Für Gewöhnlich 1-2 Antipasti-Gänge, 2 Nudelgänge, Zwischengang, Hauptgang (Lamm oder Wildschein-Frischling, 1-2 Nachspeisengänge, inkl. Wein und Kaffe 50 Pfund (14 Red Lion Street, Richmond TW9 1RW, 0208 940 9060)

in ganz London:

1-IMG_5115Supper Clubs – keine Restaurants im eigentlichen Sinne, sondern Privatveranstaltungen von Hobby- und Profiköchen. Meist Samstag abends in kleiner Runde und in heimischer Küche. anmeldung zwingend.

außerhalb Londons:

The White Oak, Britishes Gastro-Pub, Michelin Bib Gourmand (Cookham SL6 9QE, 01628 523043)

Ich packe meinen Koffer…

LondonEye Sunset

London Eye und Westminster von der Themse aus (c) Martin Herzog 2015

Auch, wenn wir uns auf Deutschland tüchtig freuen tun (wie der Rheinländer sagt), auf so ordinäre Dinge wie ordentliche Isolation in der Wohnung, vernünftige Fenster, bezahlbaren Wein, sowie – Achtung, Klischee-Alarm! – gutes Brot mit anständiger Kruste, Bier und vernünftigen Kaffee, so stellt sich auch eine gewisse Melancholie ein. Natürlich. London wird schließlich nicht umsonst Weltstadt geheißen. In den vergangenen Wochen haben wir bei vielen Gelegenheiten ausgerufen: Oh, das wird uns sicher auch fehlen!

Immer wieder fiel dieser Satz. Irgendwann habe ich den Überblick verloren und eine kleine Liste begonnen derjenigen kleineren und größeren Dinge, die wir vermissen werden. Ganz sicher ist sie nicht vollständig, diese Liste. Denn leider hat ja der Volksmund recht, wenn er sagt, dass man erst zu schätzen lernt, was man nicht mehr hat, sei es Gesundheit, Jugend, regelmäßiger Stuhlgang, oder die ganz große Liebe (einzige Ausnahme: der Blinddarm, den vermisst keiner. Wer hat sich das bloß ausgedacht?)

Nun denn, anstelle einer tränenreichen Abschiedsrede, völlig unsortiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, hier also meine kleine Zusammenstellung nach dem Motto: ‚Ich packe meinen Koffer und nehme mit… – oder vielmehr ‚…und nähme gern mit‘.

  • die Orientierung nach Himmelsrichtungen auf Straßen und Tube-Beschilderung: Westbound, Eastbound, Northbound, Southbound an den Tube-Stationen, THE NORTH, THE SOUTH etc. an den Autobahnen. Erleichtert das Leben ungemein, wenn man wenigstens ungefähr weiß, in welche Richtung man muss. Sonst nicht.
  • London Walks, die besten Stadtführungen, die in London zu kriegen sind, sortiert nach Themen, Epochen, Stadtvierteln, Persönlichkeiten. Zwei bis drei Stunden lehrreiche Unterhaltung für 9 Pfund pro Nase, unkompliziert ohne Anmeldung. Wir haben sicherlich ein gutes Dutzend dieser Führungen mitgemacht, zur Geschichte von Little Venice, Greenwich und Spitalfields, zum Rechtssystem Großbritanniens, zu Oscar Wilde, Shakespeare und Charles Dickens, zu Spionen, Königen und anderem Gesindel – wir haben es nie bereut, auch wenn anschließend manches Mal die Füße kalt und die Ohren heiß waren.
  • die Wahrzeichen dieser Stadt, neue wie alte, hübsche wie hässliche, die man immer wieder neu entdecken kann:
    Die Kuppel der St. Paul's Cathedral als Spiegelung in einer Hochhausfassade  (c) Martin Herzog 2014

    Die Kuppel der St. Paul’s Cathedral als Spiegelung in einer Hochhausfassade
    (c) Martin Herzog 2014

    Westminster Palace mit Big Ben, Westminster Abbey, das London Eye, Trafalgar Square mit der National Gallery, British Museum, Buckingham Palace, das Globe Theatre und gleich daneben die Tate Modern samt Millenium Bridge, den Shard, die hässliche Tower Bridge und den Tower of London, the Gherkin, St. Paul’s, das Barbican Centre, der BT Tower (Fernsehturm), das Wembley Stadium, die Banken-Türme in den Docklands, die Thames Flood Gates, die Battersea Power Station… – wo andere Städte sich mit einem Wahrzeichen begnügen müssen, kommt London gleich mit gut zwei Dutzend um die Ecke.

  • Humor: Nicht unbedingt den Humor an sich (obwohl wir auch davon einiges vertragen könnten), sondern die ständige Sprungbereitschaft jedes Engländers, jederzeit eine Humor-Attacke zu reiten, auch und gerade bei hoch seriösen Institutionen/Personen/Momenten. Keine wissenschaftliche Vorlesung wird hierzulande vergehen, ohne witzige One-Liner und humorige Anekdoten. Ebenso: die unbedingte Bereitschaft jedes einzelnen, sich vor versammelter Mannschaft zum Affen zu machen. Das gilt für jeden, ob König oder Bettler. Engländer lassen im sozialen Umgang vieles durchgehen. Es gibt nur eine einzige Kapitalsünde, und das ist Unfähigkeit zu Ironie und Selbstironie. Als Deutscher genießt man manchmal mildernde Umstände, weil trotz einiger hierzulande sehr erfolgreicher deutscher Komiker – wie dem German Comedy Ambassador Henning Wehn – immer noch der Glaube vorherrscht, der Deutsche an sich sei ohne Humor-Gen geboren. Umso schöner ist es, in die verstörten Gesichter zu schauen, wenn es  – selten genug – gelingt, einen trockenen englischen Kommentar ebenso trocken zu kontern.
  • die geniale Oyster Card für das öffentliche Verkehrsnetz, beziehungsweise neuerdings die Möglichkeit, in Tube und Bus die Debit Card (das Gegenstück zur EC-Karte) anstelle der Oyster Card zu benutzen;
  • ausgelöste Hähnchenschenkel (vulgo Chicken Thighs): großartig für alle Arten von Geschnetzeltem (asiatisch, Tex-Mex, á la Zürcher) oder Spießchen. Viel leckerer und saftiger als jede Hühner-Brust. Gibt’s in Deutschland leider (noch?) nicht zu kaufen, und selber auslösen ist ziemlich zeitaufwendig.
  • die Öffnungszeiten der Geschäfte am Sonntag: Die großen Supermärkte dürfen bis zu 5 Stunden öffnen, alle anderen frei Schnauze.
  • die reibungslose Lieferung von Einkäufen mit Slots von einer Stunde statt des berühmten: „Wir kommen dann nächsten Mittwoch irgendwann zwischen 8 und 20 Uhr.“
  • nationale Gelassenheit: manchmal ziemlich nervig, wenn diese Gelassenheit in Gleichgültigkeit umschlägt und Unbekümmertheit in LMA-Haltung gegenüber allen anderen. Aber ein Schuss nationales Schulterzucken über das Urteil anderer Nationen würde uns ab un an gut zu Gesicht stehen. Engländer zweifeln sehr oft und sehr heftig an ihrer Nation, aber sie verzweifeln nicht, sondern nehmen die mit klarem Blick erkannten eigenen Mängel mit mildem –> Humor oder auch beißendem Spott.
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    Routemaster Bus der Linie 9, die leider Mitte 2014 eingestellt wurde; (c) Martin Herzog 2012

    die roten Doppeldecker-Busse,
    vor allem die alten Routemaster (verkehren inzwischen leider regulär nur noch auf einer einzigen ‚Heritage Line‘: Linie 15 zwischen Trafalgar Square und Tower Hill), aber auch die New Routemaster sind klasse, die vor drei Jahren eingeführt wurden, und nun immer häufiger zu sehen sind.

  • die hervorragenden Wissenschafts-, Musik-, Natur- und Geschichts-Dokumentationen auf BBC 4 (Fernsehen);
  • die Möglichkeit, sich auch jenseits der öffentlich-rechtlichen BBC-Nachrichten seriös im Fernsehen mit Informationen zu versorgen: Die Privatsender itv und Channel 4 senden täglich vorzügliche, bis zu einstündige Nachrichten zur Hauptsendezeit, mit Korrespondentenberichten aus Krisengebieten, investigativen Recherchen und oft pfiffigeren Erzählansätzen als die bisweilen etwas hüftsteife BBC. Und offenbar verdienen diese Sender trotz allem Geld, ganz im Gegensatz zu dem, was Privatfunkbetreiber in Deutschland immer erzählen. Warum das hier geht mit zwanzig Millionen Einwohnern weniger als in D., und bei uns nicht möglich sein soll, würde ich mir gern mal erklären lassen.
  • die Fernseh-Serie The Big Bang Theory in unsyncronisierter, amerikanischer Fassung.
  • die Pre-Theatre-Menüs in den Londoner Restaurants: Für 18-30 Pfund ein perfektes 3-Gänge-Menü (zum Teil sogar mit Weinbegleitung) mit der einzigen Einschränkung, den Platz nach spätestens 2 Stunden zu räumen. Ursprünglich für eilige Theaterbesucher erfunden, bieten mittlerweile immer mehr Restaurants diese Sonder-Menüs an, und das nicht nur in den Ausgehvierteln des Westend. Dabei muss es sich keineswegs um irgend welche Touristenfallen handeln (die gibt es natürlich auch), sondern teils um hervorragende Fresstempel, manche mit Michelin-Stern (eine Liste mit unseren persönlichen Restaurant-Highlights folgt in ein paar Tagen als kleines Abschiedsgeschenk).
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    Front der National Gallery (c) Martin Herzog 2014

    die großartigen, großen und kleinen, und dabei komplett kostenlosen Museen und Ausstellungen der Stadt: Die National Gallery mit meinem Lieblingsgemälde Die Gesandten, von Hans Holbein dem Jüngeren; die National Portrait Gallery gleich nebenan, wo man den gesamten Adel des Landes aufgehängt hat (leider nur als Bild, werden manche  bedauernd einschränken), und auch sonst, was Rang und Namen hat; das British Museum mit dem Rosetta-Stein und dem original Aztekischen Kristallschädel (richtig, das Vorbild für den gleichnamigen Indiana Jones Film), der eine vermutlich aus Deutschland stammende Fälschung ist;

    Eine echte Fälschung: Der 'aztekische' Kristallschädel im British Museum (c) 2014 Martin Herzog

    Eine echte Fälschung: Der ‚aztekische‘ Kristallschädel im British Museum (c) 2014 Martin Herzog

    Tate Britain mit den Landschaftsbildern von Nationalmaler William Turner; die Tate Modern mit der grandiosen Turbinenhalle; das Bank of England Museum, wo man einen echten Goldbarren anfassen und hochheben kann; das kleine Clockmaker Museum, wo Arnold zu besichtigen ist, die große Taschenuhr, mit der die Greenwich Time Lady Londoner Geschäftsleuten die Zeit verkaufte – zur Zeit leider geschlossen, weil es ins Science Museum in South Kensington umzieht, wo es von Dampfmaschinen über den Cray-Computer bis zur Apollo-Kapsel alles gibt, was für Jungs jeden Alters spannend ist. Dann natürlich gleich um die Ecke das Natural History Museum (Dinosaurier, Dodos, Blauwale), das Victoria&Albert-Museum, wo es um das britische Kunsthandwerk geht (decorative arts), aber irgendwie auch um die Kulturgeschichte der Welt; das National Maritime Museum in Greenwich (Seefahrt- und Kolonialgeschichte);

    Buddelschiff vor dem Royal Maritime Museum  (c) Martin Herzog 2013

    Buddelschiff vor dem Royal Maritime Museum
    (c) Martin Herzog 2013

    das Museum of London (Stadtgeschichte von den Kelten und Römern bis heute) mit seinem sehenswerten Ableger in den Docklands; ; das Hunterian Museum des Königlichen Arztkollegiums am Lincoln’s Inn Fields mit seiner Dauer-Ausstellung zur Geschichte der plastischen Chirurgie (für sanfte Gemüter sehr als Appetitzügler zu empfehlen), John Soane’s Haus am selben Platz gegenüber, wo man glaubt, man sei in das Haus von Zaubermeister Dumbledore aus Harry Potter gestolpert; die durchgedrehte Wellcome Collection, die Kunst mit Naturwissenschaften verbindet; das Museum in der Freemason’s Hall in Covent Garden, wo man bei täglichen Führungen einen Blick hinter die Kulissen der Freimaurer-Gesellschaft werfen darf; die Manuscript Exhibition in der British Library, wo Handschriften von der Beowolf-Saga über die Magna Carta bis zu Yesterday von den Beatles zu bestaunen sind; das kleine Museum of the Order of St. John in Clerkenwell, wo man erfahren kann, wie aus dem katholischen Ritterorden über den Umweg Jerusalem die Johanniter und die Malteser entstanden sind.

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    Selbstportrait Rembrandts in der Wallace Collection (c) Martin Herzog 2014

    Die kleineren dieser Museen liegen, wenn nicht versteckt, aber doch oft abseits von den Touri-Routen, wie die ehemalige Privatsammlung Wallace Collection mit seinen prächtigen Räumen aus dem 17. und 18. Jahrhundert und zahllosen alten Meistern von Rembrandt bis Tizian. Aber Ausstellungen wie diese, die hier unter Geheimtipp laufen, wären in anderen Städen dieser Welt ganz leicht die museale Hauptattraktion. Und das alles, noch einmal, völlig kostenlos (Spenden werden natürlich nicht zurück gewiesen…);

  • die mehr oder weniger versteckten Herrenhäuser und Parkanlagen,
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    Kenwood House in Hampstead Heath (c) Martin Herzog 2013

    die vom National Trust und von English Heritage erhalten und gepflegt werden: Syon House, Apsley House, Spencer House, Kenwood House, Boston Manor, Hughenden Manor, Osterley House and Park (mehr dazu hier).

  • die Geschichten von Londoner Exzentrikern, wie dem Philosophen Jeremy Bentham, der sich als ‚Autoikone‘ postmortal konservieren ließ und bis heute in der Empfangshalle des University College London hockt. Oder dem durchgeknallten Journalisten Francis Trevelyan Buckland, Pionier des Wissenschaftszweiges der Zoöphagie im 19. Jahrhundert: Im Namen von Forschung und Fortschritt verspeiste er so ziemlich jede Tierart, derer er habhaft werden konnte: Squirrel Pie, Pferdezunge, gebackene Mäuse in Bierteig, gerösteter Igel. Sein Appetit machte nicht bei heimischen Tierarten halt: Krokodilsteak stand regelmäßig auf dem Speiseplan, ebenso wie Rhinozeros, Elefant und Giraffe. Sein Sohn William stand dem Herrn Papa in nichts nach und gründete die Society for the Acclimatisation of Animals into the United Kingdom. Die Akklimatisation der Tiere bestand in erster Linie darin, selbige beim alljährlichen Diner der Gesellschaft zu verspeisen, namentlich gekochte Gartenschnecken, gegrillten Papagei oder geschmortes Känguruh. Leider begnügte er sich nicht damit, die Tiere zu essen, sondern entließ sie bisweilen in die englische Landschaft. So setzte er einige Exemplare des Nordamerikanischen Grauen Eichhörnchens aus, das größer ist und robuster als das einheimische Rote Eichhörnchen – was dazu geführt hat, dass letztere jetzt, anderthalb Jahrhunderte später, fast völlig ausgerottet sind auf den Britischen Inseln. Böse Graue Eichhörnchen!
  • trotz alledem werden wir die Grauen Eichhörnchen vermissen: weil zahllose von ihnen bei uns im Garten rumturnen, und weil es sie auf dem europäischen Kontinent schlicht nicht gibt (vielleicht könnten wir ja ein Pärchen einführen? Vielleicht auch lieber nicht…)
  • für Journalisten, sowie Hörfunk- und TV-Produzenten besonders angenehm: Der Imperativ aller professionellen Interviewpartner (Pressesprecher, Wissenschaftler etc.): Don’t be boring! Hier ist es kein Verbrechen, die Dinge auf den Punkt zu bringen, in einfache Formeln zu packen – to dumb things down. Im Gegenteil, das ist ein Qualitätssiegel. Für Journalisten eine unschätzbare Arbeitserleichterung, ebenso, wie
  • TowerBridge

    Blick auf den Südturm der Tower Bridge (c) Martin Herzog 2014

    die Aufgabe, in den Straßen der Kapitale Umfragen bei der lokalen Bevölkerung zu veranstalten – die bei Autoren in Deutschland oft zu Recht gefürchteten, so genannten VoxPops (von Latein: Vox Populi, deutsch: Stimme des Volkes. Auch wenn er in Latein stets nur gerade so durchgerutscht ist, schmückt sich der gemeine Publizist gern mit der Sprache der Gebildeten). In London sind solche Straßenumfragen ein reines Vergnügen, denn viel öfter als der mürrische Deutsche lässt sich der Engländer zu einem Statement hinreißen, und in den allermeisten Fällen hat er, gleich zu welchem Thema, auch etwas Interessantes, bisweilen sogar originelles, immer aber Gehaltvolles zu sagen, während ähnliche Veranstaltungen in D. bei allen Volontären und Praktikanten den Ruf einer Art Dante’schen Vorhölle genießen.

  • die Londoner Theaterszene. Verkopft, humorlos, um sich selbst kreisend, anstrengend. So hatte ich Theater abgespeichert, allen voran das Schauspiel in Deutschland. Was sich da auf der Bühne abspielte, hatte mir oft nichts zu sagen, nicht mal unterhaltend war es. Ich hatte Theater als abgehalfterte Kulturform abgeschrieben, überholt, irrelevant, ein Anachronismus. London aber hat mich wieder zu einem begeisterten Theatergänger gemacht. Stücke, die wir hier gesehen haben, waren aktuell (Great Britain über den phone hacking-Skandal, Charles III über den unglücklichen Thronfolger), drängend (12 Angry Men),
    Handbagged: Das doppelte Queenchen plus zwei mal Maggie Thatcher - zum Glück nur im Theater...

    Handbagged: Das doppelte Queenchen plus zwei mal Maggie Thatcher – zum Glück nur im Theater…

    verblüffend (Handbagged, zwei Margaret Thatchers und zwei Queens gleichzeitig auf der Bühne), rücksichtslos knallchargierend (One Man two Guvnors), manchmal reiner Slapstick (The 39 Steps), klassisch-tragisch (King Lear), fröhlich (The Knight of the Burning Pestle im großartigen historischen Sam Wannamaker Playhouse), versponnen (Orpheus in der Unterwelt als Gypsy-Jazz-Musical) und manchmal alles zusammen (The Cripple of Inishmaan mit Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe) – nur eins waren sie nie: langweilig, sondern professionell auf die Bühne gebracht, mit Lust am Spiel, immer mit Humor, gern auch albernd und nie selbstverliebt vergessend, für wen das Ganze veranstaltet wird, den Zuschauer. So macht man heute Theater! So, und nicht anders.

  • TopShelf-Jazz

    Die Londoner Swing Band Top Shelf in der Quecumbar (c) Martin Herzog 2012

    Die Möglichkeit, an jedem Tag der Woche irgendwo in der Stadt exzellenten Live Jazz zu hören (auch wenn man dafür bisweilen horrend schlechtes Essen in Kauf nehmen muss): Im 66 Club in Chelsea zum Beispiel, im Pizza Express in Soho, wo im Keller der Italo-Kette hervorragende Künstelr auftreten, oder auch in der QuecumBar (sprich englisch: Cucumber, also Gurke) in Battersea, wo es fast täglich Swing und Gypsy Jazz im Stil von Django Reinhardt zu hören gibt, und wo dessen Nachfahren ab und zu immer noch zu treffen sind. Wohin wir es leider nie hingeschafft haben, ist der Klassiker, die Legende Ronnie Scott’s in Soho, wo Ella Fitzgerald und Nina Simone ebenso ihre Live-Platten eingesungen haben, wie Jamie Cullum und Jeff Beck. Das müssen wir uns wohl mal für einen künftigen Besuch aufsparen…

Ist dann doch ganz schön lang geworden, die Liste. Und das sind nur die Dinge, von denen wir jetzt schon wissen, dass wir sie vermissen werden. Bei all denjenigen, die in nächster Zukunft mit mir persönlich zu tun haben werden, bitte ich deshalb schon jetzt um Nachsicht für idiotisches Gebarme á la ‚in London gibt es aber…‘ und ‚Dafür müsste man jetzt in London sein…‘, oder ‚das würde in London nie passieren…‘

Advent, Advent…

1-IMG_2435Herrje, ist es schon wieder so weit? In den Straßen liegen heimatlose Tannenbäume und weinen still ihre letzten Lametta-Fäden aus den dürren Ästen, und schon werden wieder Tage rückwärts gezählt. Aber keine Sorge, nicht auf Weihnacht geht es, sondern auf Umzug. In genau sieben Tagen packen wir unsere Siebensachen und verabschieden uns aus London, auf den Tag genau drei Jahre, nachdem wir hier angekommen sind.

Ein paar Sachen möchte ich aber vorher noch los werden. Und so werde ich Euch/Sie, die treuen Leser dieses kleinen Blogs, in den kommenden Tagen noch ein paar mal behelligen, und zwar zunächst mit einigen sprachlichen Auffälligkeiten.

Abseits der üblichen umgangssprachlichen Wörter und Phrasen, die man lernt, wenn man länger in einer Fremdsprache unterwegs ist (‚Cheers‘, ‚No worries‘, ‚See you in a bit‘), sind mir einige idiomatische Ausdrücke in Erinnerung geblieben – beziehungsweise ich wollte sie mir unbedingt merken. Weswegen ich vor geraumer Zeit angefangen habe, eine Liste zu pflegen mit den treffendsten, witzigsten oder auch nur passendsten Worten und Wendungen, die nicht, oder jedenfalls nicht ohne Weiteres ins Deutsche übertragbar sind. Da sie für sonst wenig gut ist, kippe ich die ganze Ladung einfach mal hier aus, vielleicht kann ja jemand was damit anfangen. Ich jedenfalls finde sie köstlich:

a nasty piece of work – ein fieser Kerl / fieses Weibstück / Arschkrampe;

a work around (to find a… – Substantiv!) – eine meist provisorische (und oft erstaunlich langlebige) Alternativlösung für ein Problem, einen Fehler oder zeitweisen Ausfall eines Systems;

Anticlimax / anticlimactic – nicht, wie man denken könnte, das Gegenteil von Höhepunkt – also Tiefpunkt – sondern das Ausbleiben des Höhepunktes, etwas, das die erwartende Spannung nicht auflöst, sondern den Betreffenden fragend, frustriert, enttäuscht zurück lässt. Quasi das intellektuelle Gegenstück zum Coitus Interruptus;

As good as it gets / as good as they come – besser geht‘s nicht;

bamboozled – baff/verblüfft sein;

in his/her birthday suit – nackt;

brainchild – man ist versucht, es mit Kopfgeburt zu übersetzen. Das liegt zwar nahe,  aber daneben. Brainchild ist sehr positiv konnotiert, im Deutschen gibt es einen ähnlichen Ausdruck, nur aus der gegenläufigen Perspektive: Jemand ist der geistige Vater / die geistige Mutter von etwas.

brainiac – ein Superschlauer;

concoction – Gebräu, Gesöff, gebräuchlich auch in Verbform: he concocted a drink;

contraption – Gerätschaft (→ Wort der Woche);

Dead on arrival – Totgeburt;

die-hard – eingefleischt (-er/es): z.B. a die-hard communist/republican/royalist/liberal;

Drama King/Queen – Drama King/Queen

earmarked (for) – wörtl. mit einer Ohrmarke versehen, wie eine Kuh: für etwas vorgesehen;

flabbergasted – wenn einem die Spucke wegbleibt;

gobbledegook, to speak/talk/understand – unverständliches Zeug / Fachchinesisch reden/verstehen;

halfwit – wörtl. Halb-Gescheiter: Vollpfosten, Trottel;

knee jerk reflex – Kniereflex/reflexartig;

Loose canon – wörtlich: eine auf einem Schiffsdeck herum rollende (geladene) Kanone: unberechenbar/gemeingefährlich sein;

more often than not – wörtl. eher öfter als seltener: in den meisten Fällen;

(that‘s a) mouth full – (das ist) ein Wortungetüm, gern eingesetzt bei langen Titeln (Dienstwagen-Chauffeurs-Anwärter-Ausbilder), oder überbordenden bürokratischen Begriffen;

muddle (to be in a) – in einer verzwickten Situation stecken. Auch als verb: to muddle through: sich durchwurschteln;

no brainer – eine klare Entscheidung (ohne sich das Gehirn zermartern zu müssen);

Number cruncher – wörtlich Zahlen-Mühle: Statistiker, auch Super-Computer;

Pet theory, to entertain a – wörtl. Schoßtier-Theorie, eine eigene (Lieblings-) Theorie pflegen;

red herring – falscher Köder, Ablenkungsmanöver;

red tape(d) – mit Absperrband versehen, etwas ausschließen. Im übertragenen Sinn auch Denkverbote erteilen;

Rat Race – wörtlich Ratten-Rennen: (das tägliche) Hamsterrad;

Sausage factory – Fleischwolf (im übertragenen Sinn);

Scare-mongering, auch Fear-mongering – Mit Ängsten (der Bevölkerung) spielen, oft im politischen Bereich. Monger ist ein alter Begriff für Händler, der weitgehend ausgestorben ist. Mancherorts findet man noch den Fishmonger und noch seltener den Ironmonger. Scaremongering bedeutet also eigentlich ‚mit der Angst Handel treiben‘. In Abwandlung taucht bisweilen auch der gossip monger auf (die Klatschbase), der phrase-monger (Phrasendrescher) der mystery-monger (Geheimniskrämer), und der war-monger (Kriegstreiber);

Shambles, to lie in – in Trümmern, Ruinen, Scherben liegen (→ Wort der Woche);

Shenanigans – Schwierigkeiten, Durcheinander;

squirrelsquirrel away, to – etwas auf die Seite schaffen wie ein Eichhörnchen (engl. squirrel, –> Wort der Woche);

The greasy pole – wörtl. Fettpfosten: in Politik oder Wirtschaft der glitschige Pfahl, den jeder erklimmen möchte, um ganz oben zu sein;

Toddler – Kleinkind (von engl. to toddle: stolpern, wanken, watscheln);

To bolt sth. onto sth. – wörtl. etwas auf etwas draufnieten/-nageln (im übertragenen Sinne, z.B. bei Handy-Verträgen: zusätzliche Leistungen, Datenpakete etc.), auch als Substantiv: a bolt on;

To dumb things down – vereinfachen, für jedermann verständlich machen (Anwendung: He’s an academic, but he’s very good in dumbing things down);

To hammer the message home – etwas einhämmern;

To have the time of one’s life – Spaß haben wie Bolle;

To keep a stiff upper lip – Die Ohren steif halten;

To live the life of Riley – Es sich gutgehen lassen (bis heute habe ich nicht herausfinden können, wer dieser Riley sein könnte);

To pencil (in) a date – im Geschäftsleben einen Termin mit Bleistift eintragen, also Vormerken ohne ihn bereits zu bestätigen (häufig in Verbindung mit der Abkürzung→ tbc – to be confirmed);

To pick one’s brain – jemanden ausfragen, der Ahnung von der Materie hat;

To talk somebody through something – Jemandem eine Funktion, ein technisches Gerät oder einen Ablauf erklären;

to tune in to – sich auf etwas (gefühlsmäßig) einstellen/einlassen;

turncoat – umgedrehter… (Anwendung: The die-hard communist became a turncoat conservative in later life);

underwhelmed – das Gegenteil von überwältigt (overwhelmed), also „unterwältigt“, im Sinne von „unbegeistert von etwas“ (einem Theaterstück, einer Rede, einem Verhalten). Interessanterweise gibt es zwar die Komposita over- und underwhelmed, nicht ber das Grundwort whelmed.

Die Liste ist natürlich weit davon entfernt umfassend zu sein. Erweiterungen sind jederzeit willkomen…

Jungfrauen-Öl

VirginOil

Gesehen im Schaufenster der Pizzeria Ottomezzo in Kensington (Dank an Christian)

 

London: Heute geschlossen!

1-IMG_7316„Wir könnten morgen den Christmas Walk machen,“ hatte ich gestern vorgeschlagen, etwas leichtsinnig, wie sich herausstellte. Die Stadtführungen des ebenso kleinen wie äußerst beliebten Familien-Unternehmens London Walks haben wir sicher schon mehr als ein dutzend Mal mitgemacht, vor allem zu Beginn unserer Zeit hier. Weil diese Stadt viel zu groß ist, und viel zu sehr durchtränkt von zweitausend Jahren Geschichte, tut man als London-Interessierter gut daran, sich einzelne Themen herauszusuchen,  um sich einen groben Überblick zu verschaffen – bestimmte Stadtteile, Epochen, berühmte Söhne und Töchter der Stadt. So haben wir mit London Walks Little Venice kennen gelernt, in Highgate  die Promihäuser (Kate Moss, George Michael, Jude Law) und -Gräber (Karl Marx, Douglas Adams) abgeklappert, haben das London von Shakespeare, Charles Dickens und Oscar Wilde erkundet, und sind á la 007 den Spuren der Spione in Mayfair gefolgt. Bei den Stadtführern handelt es sich oft um Schauspieler, Journalisten, oder glernte Historiker, und sie servieren ihre Führungen mit viel Hintergrundwissen, reichlich Anekdoten, und gewürzt mit noch mehr britischem Humor. Anmeldung nicht nötig, einfach hingehen, 9 Pfund bezahlen, zwei Stunden mitlaufen und eine gute Zeit haben. Wunderbar.

Zur Führung am Weihnachtstag, so heißt es auf der entsprechenden Internet-Seite, treffe man sich am großen Christbaum auf Trafalgar Square, woselbst während eines Spaziergangs im Regierungsviertel Whitelhall das Leben und Wirken von Samuel Pepys beleuchtet, und aus dessen teils saftigen Tagebüchern zitiert werde. Warum an diesem Tag gerade dieser recht unbekannte Zeitgenosse Oliver Cromwells? Nun, er beschreibt unter anderem die ersten Weihnachten nach Wiedererrichtung der englischen Monarchie 1660, als es 10 Jahre lang verboten war, das christliche Wiegenfest zu feiern. Pepys (aus unerfindlichen Gründen spricht der sich Peeps aus) hat die Hinrichtung Charles I. gesehen, den Pestausbruch über-, und das große Feuer miterlebt, das London 1666 völlig zerstörte, daneben hat er zahlreiche außereheliche Affären gehabt, über die er in seinem Tagebuch detailreich berichtet, auch  saß er zeitweise hinter Gittern. Klingt nach einem großartigen Weihnachtsmorgen, also hin! Ist auch nicht allzu früh: Um 11 Uhr soll es los gehen, da müssen wir uns erst gegen 10 auf den Weg zur Tube machen…

Halt! Da war was. Vorsichtshalber mal einen Blick auf die Seite von Transport for London (TfL) werfen, den hiesigen kommunalen Verkehrsbetrieb. Und tatsächlich, bei allen Linien steht da lapidar: Service closed. Das gesamte Londoner U-Bahnnetz ist heute außer Betrieb. Busse? Nope! Oder doch, ein paar sollen tatsächlich fahren. Um von unserem Haus in West London zum 13 Kilometer entfernten Trafalgar Square zu gelangen, schlägt der TfL-Routenplaner vor, man möge zu Fuß bis nach Turnham Green laufen (42 Minuten), die Linie 27 nehmen bis zur Hampstead Road (32 Minuten), und sodann mit der Linie 24 bis Trafagar Square fahren. Gesamt-Reisezeit: 1 Stunde 37. Auch wenn wir heute nicht unter Zeitdruck sind, keine echte Option. Flunsch!

1-IMG_7322Die Tour möchten wir trotzdem mitmachen. Nach einer Weile keimt eine Idee in uns, zugegeben eine völlig irre Idee. Sollen wir es wagen? Dürfen wir wirklich erwarten, es bis nach Central London zu schaffen? Und dann auch noch rechtzeitig zum Beginn der Führung anzukommen, all den Unwägbarkeiten zum Trotz? Nein, zu kühn scheint uns dieser Gedanke, absurd geradezu.

Auf der anderen Seite wissen wir aus der Weihnachtserfahrung verganger Jahre: Heute hat alles, wirklich alles geschlossen: Geschäfte, Restaurants, Theater, Museen, Touri-Attraktionen – alles, alles dicht. Büros und Banken natürlich sowieso. Selbst beim 24/7-Tesco bei uns auf der Ecke, der sonst immerimmerimmer geöffnet ist, sind die Rolladen herunter gelassen. London: heute geschlossen.

Dass eine Weltstadt wie London komplett zumacht, ist nicht nur für Zugereiste kaum zu fassen. Auch die Londoner sind davon alle Jahre wieder auf’s Neue bass erstaunt. Wie es eine Kolumnistin im Guardian ausdrückt: Man weiß, dass es kommen wird, aber man kann es nicht glauben. Bis er tatsächlich passiert, der Christmas Tranport Shutdown.

Wer schon einmal in New York war, weiß, dass Frankie Sinatra kein bißchen übertrieben hat, als er von der ‚City that never sleeps‘ sang. Der Unterschied der Einkauftour um 3 Uhr Nachmittags von der um 3 Uhr nachts besteht hauptsächlich in der Beleuchtung. In London dagegen ist zumindest unter der Woche ab 11 Uhr Feierabend, wenn der Mann hinterm Tresen zur letzten Runde läuet. Essen wird in Pubs üblicherweise bis 21 Uhr serviert, selten bis 22 Uhr, Restaurants sind eine Stunde später dicht. Wer danach versucht, etwas Essbares aufzutreiben, jenseits von Döner und Burger, der hat’s schwer. Und auch über das Nachhausekommen sollte man sich dann gesteigert Gedanken machen, denn spätestens um halb eins gehen die Gitter an den Tube-Stationen zu. Letzteres soll ab nächstem Jahr geändert werden, immerhin. Dann soll die U-Bahn wenigstens am Wochenende auch nachts fahren.

Weihnachten ist dieses Prinzip konsequent zuende gedacht. Dem entsprechend unternimmt der Londoner auch nichts an diesem Tag, sondern verbringt ihn – abgesehen von gelegentlichen Fress-Intermezzi – mehr oder minder regungslos auf der Couch vor dem ‚Telly‘ in mehr oder weniger willkommener Anwesenheit Familie. Also ganz so wie der Deutsche, vielleicht mit dem Unterschied einer insgesamt eher fatalistischen Haltung. Das willenlose Fügen in das Unausweichliche scheint dem Angelsachsen eher zu liegen als die „Jetzt-machen-wir-es-uns-aber-gemütlich“-Entschiedenheit von letzterem, dessen unbedingter Wille zur Weihnachts-Harmonie zuverlässig in Mord und Totschlag mündet. Aber ich schweife ab.

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Idyllischer Friede am Trafalgar Square. Alle Fotos in diesem Artikel (c) Martin Herzog 2014

Der Londoner jedenfalls ist heute nicht in London, oder wenigstens nicht auf der Straße. Mit dem Mut der Verzweifelung beschließen wir also, es zu wagen: Wir machen ganz was Verrücktes und fahren mit dem Auto nach London! Mitten hienein ins Zentrum. Crazy! Das ganze ist nicht ganz ohne Risiko. Meine wenigen Versuche bis dato führten stets zu Schreikrämpfen, ausgerissenen Haarbüscheln und Bisspuren im Lenkrad – was selbstredend nicht etwa an fehlendem Langmut meinerseits liegt, sondern an einem filigranen Zusammenspiel aus extrem hohem Verkehraufkommen, hirnrissiger Verkehrsplanung, absurden Ampelschaltungen, völlig verwinkelten Straßenzügen, Dauerbaustellen, und der wenig disziplinierten Fahrweise der Londoner (um es zurückhaltend auszudrücken).

Heute aber, heute ist es anders. Ganz anders. Nicht nur, weil wir die berüchtigte Congestion Charge nicht fürchten müssen, jene Gebühr von mittlerweile 11,50 Pfund pro Tag, um die Privat-Droschke in die Londoner Innenstadt lenken zu dürfen. So nähern wir uns entlang Kensington Gardens, Hyde Park und Marble Arch zunächst der Einkaufsstraße Oxford Street, der notorischsten unter den neuralgischen Straßen Londons. Doch siehe: Außer ein paar Taxis nur wenige andere Autos, die Ampeln fast alle auf Grün, und kein einziger jener ebenso ansehnlichen wie sperrigen Doppeldeckerbusse in Sicht, die sich sonst in unendlicher Reihe, Stoßstange an Stoßstange an den Selfridges, John Lewis, M&S und H&M vorbeischieben, kaum einen Schritt schneller als die gestressten Fußgänger auf dem Bürgersteig. Stattdessen nachgerade idyllische Ruhe. Da behaupte noch einmal jemand, es gebe heute keine Wunder mehr.

Das gleiche Bild auf der sonst überfüllten Regent Street, am stets hysterischen Piccadilly Circus, selbst Trafalgar Square umrunden wir problemlos. Fahrzeit insgesamt: 21 Minuten. Für die gleiche Strecke darf man an jedem anderen Tag im Jahr zu fast jeder Uhrzeit problemlos den Faktor 4 ansetzen. Wir können unser Glück kaum fassen.

1-IMG_7304Am Viktoria Embankment eröffnet sich zu allem Überfluss eine kostenlose (!!!) Parkpmöglichkeit, und wir finden uns tatsächlich pünktlich zum Beginn der Führung unterm Christbaum auf dem Trafalgar Square ein. Die Sonne scheint, bei 8 Grad kann man im Wintermantel den Ausführungen zum Leben und Sterben im 17. Jahrhundert ohne Fröstelattacken folgen. Und das sonst so krakeelige London zeigt sich friedlich.

Natürlich ist nichts auf dieser Welt für die Ewigkeit, Weihnachten schon gar nicht. Morgen schon ist Boxing Day. Heute aber genießen wir es. Welch eine Bescherung!

Bücher über London: Fettnäpfchenführer

9783943176735_400Wer jemals bei Funk oder Fernsehen gearbeitet hat, der weiß: Hier wird das Medium täglich neu erfunden. Jede Sendung muss jeden Tag ganz anders, ganz frisch sein. Die Erzählform, die (Bild-)sprache, die Herangehensweise – alles so, wie man es noch nie gesehen, nie gehört hat. Das Endprodukt sieht dann meistens aus wie immer. Aber morgen dann ganz bestimmt…

In Teilen der ‚holzverarbeitenden Industrie‘ (Willy Brandt) sieht es in dieser Hinsicht noch etwas entspannter aus, aber auch da muss ab und zu mal was Neues her. Das gilt für die Tagespresse natürlich, ebenso für Wochen- und Monatsmagazine, aber auch für längerfristige, umfangreichere Vorhaben wie zum Beispiel Reiseführer. Derer gibt es viele, und London ist womöglich diejenige Stadt, die reiseführertechnisch den Rekord hält, zumindest im deutschen Sprachraum: 1009 Ergebnisse spuckt Amazon aus. Neben den üblichen Marco-Polo-Baedecker-DuMont-Polyglott-ADAC-Lonely-Planet-Überblicks-Guides findet sich London mit Kindern, Indisch Essen in London, Der perfekte Mädelsurlaub in London, Mit Sherlock Holmes durch London, und natürlich auch eine Kneipentour durch London. Schwer, da noch irgendetwas mit einem neuen Dreh zu finden, einem neuen Zugang, einer neuen Erzählform, die London dann auch in einem anderen Licht zeigt.

Der Fettnäpfchenführer London des Reisejournalisten Michael Pohl ist so ein Versuch. Ein geglückter? Nun ja, zum Teil. Da ist zum einen der Titel. Gleich im Vorwort räumt der Autor ein, dass es um die Fettnäpfchen in Großbritannien nicht so arg bestellt ist: „Man wird einen Aufenthalt in London auch irgendwie überstehen, wenn man sich mit den kulturellen Besonderheiten der Briten nicht auskennt. Aber lernt man dann eine Stadt wirklich kennen?“ Vermutlich nicht. Aber außer Allerwelts-Hinweisen für den Pub-Besuch (es muss an der Theke bestellt und bezahlt werden), ist das Thema Fettnäpfchen in dem Buch anfangs seltsam unterrepräsentiert.

Spannend und erhellend hätte da ein Kapitel über die zahlreichen Fallen und Fettnäpfchen sein können, die den Touristen/Zugereisten in der täglichen Kommunikation mit Engländern erwarten. Denn anders als in anderen Teilen der Erde, wo der kulturelle und sprachliche Unterschied unübersehbar ist, führt gerade die vermeintliche kulturelle Nähe zum angelsächsischen Sprachraum den schlicht geradeaus denkenden Teutonen geradewegs in die wunderbarsten Missverständnisse (’not bad,‘ sagt der Engländer, und der Deutsche versteht ’nicht schlecht‘. Gemeint ist aber ‚terrible‘. Nicht schlecht würde stattdessen heißen ’not bad at all‘. Feine, aber wichtige Unterschiede. Eine kleine Übersicht über typisch englisch-internationale Sprach-Fettnäpfchen habe ich hier zusammengestellt). Auch ein paar Sätze über die lokale Aussprache von Eigennamen hätte durchaus praktischn Nutzen gezeitigt (wem zum Beispiel auf die Frage nach der Tate Modern Gallery beschieden wird, diese befinde sich in ‚Ssethek‘, der wird daraus schwer entziffern können, dass das Stadtviertel Southwark gemeint ist – ein Artikel zur englischen Aussprache und Schreibweise gibt es hier). Stattdessen findet sich im Fettnäpfchenführer nur die Warnung, Gespräche mit den Eingeborenen der Insel möglichst stets unter Umschiffung von Politik und besserwisserischer Belehrung zu führen, solange diese nicht selbst auf das Thema zu sprechen kommen  – eine Bemerkung, die auch in jedem konventionellen Reiseführer zu finden ist.

Das zweite Problem des Buches ist der Versuch, durch reportageartige Elemente die typische, statische Erzähl-Form des Reiseführers zu durchbrechen, per Erlebnisbericht aufzulockern und persönlicher zu machen. Hierfür hat sich Journalist Pohl ein alter Ego zugelegt, Fabian, eine fiktive Person, die ziemlich – aber nicht ganz – mit der Person des Autoren übereinstimmen soll. Wofür dieser Winkelzug gut sein soll, verrät er nicht. Ich vermute aber mal böswillig, dass dieser fiktive Fabian auch manche fiktive Geschichte beschreibt, die der Autor so nicht, oder nicht so pointiert erlebt hat bei seinen London-Besuchen, und er sich auf diese Weise journalistisch ‚ehrlich macht‘ , wie das so schön heißt. Nur fragt man sich lange Zeit: Wozu? In den ersten Kapiteln kommt Fabian kaum zu Wort. Das, was er beschreibt ist nichts Spezifisches, es handelt sich nicht um echte Anekdoten, und bringt nur wenig Erkenntnisgewinn (so zum Beispiel ein Abschnitt über das Zählen der königlichen Schwäne auf der Themse, das seltsam detailarm erzählt wird). Vielmehr entsteht der Eindruck, als sei die Figur nachträglich eingeschmuggelt worden, um die Erzählung aufzupeppen, die vom Aufbau ansonsten eher in den Fußstapfen konventioneller Reiseführer folgt: Allgemeines über London, Anreise, Verkehrsmittel, Unterkunft, Der Londoner an sich, die Königsfamilie, Pubs, Shopping, Gentlemen’s Clubs etc. Lnge Zeit scheint der Führer selbst ein wenig orientierungslos zu sein, zumindest was die eigene Richtung betrifft.

Interessanterweise verliert sich diese nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Struktur, je weiter das Buch vorankommt – offenbar nachdem der Autor das Pflichtprogramm samt der üblichen Tipps-und-Tricks (Nutzwert! Nutzwert!) abgearbeitet hat: Die Reportage-Elemente werden länger, spannender, und sind näher dran am Leben. Und es gibt einiges zu lernen, auch wenn man schon ein bißchen was über London weiß. So ist das Kapitel über die britischen Währungen (sic!) sehr aufschlussreich, auch wenn mancher bereits wissen dürfte, dass in Schottland separate Pfundnoten gedruckt werden, die in England nicht anerkannt werden. Ebenso das Kapitel über den Musical-Besuch und die Hintergründe zum dort nicht vorhandenen Dresscode, ist gut erzählt und aufschlussreich. An solchen Stellen kommen denn auch endlich mal der Titel und die anekdotische Erzählweise sinnvoll zusammen. Wenn daran irgendetwas zu bemängeln ist, dann höchstens, dass die Kapitel oft arg kurz gehalten sind, man gern noch ein paar Absätze mehr gelesen hätte.

„Da ist schon viel schönes dabei“, sagt der Fernseh-Redakteur zum Autoren, wenn er ihm schonend beibringen will, dass letzterer den gesamten Film umschneiden soll. In etwa so fällt leider das Gesamturteil beim Fettnäpfchenführer aus, trotz einer Reihe schöner Einfälle und Geschichten vor allem im hinteren Teil.  Gegenüber klassischen Reiseführern bleibt er optisch zurück (die Seiten sind arg spartanisch möbliert), ebenso in Sachen Nutzwert. Gegen andere alternative London-Führer wie 111 Gründe London zu lieben, die im Plauderton über die britische Hauptstadt und ihre Bewohner berichten und en passant den einen oder anderen Tipp transportieren, ist der Fettnäpfchenführer etwas sehr kurz angebunden.

Mit seinem Preis von knapp unter 10 Euro ist das Buch wohl auf den klassischen Mitnahme-Kunden ausgerichtet, der in der Buchhandlung sich neben dem ’normalen‘ Reiseführer noch ein wenig leichte Reisekost einpacken bzw. zuschicken lässt („dieses Buch könnte sie ebenfalls interessieren…“). In diesem Segment dürfte das Buch seine Kunden finden – gerade jetzt zur Weihnachtszeit.

Michael Pohl: Fettnäpfchenführer London – Ein Reiseknigge für das größte Dorf Englands – Stadt-Edition, Conbook Medien-Verlag 2014, 320 Seiten, 9,95 Euro

Für diese Rezension wurde dem Verfasser vom Verlag ein Exemplar des Buches zur Verfügung gestellt.

Reinschauen: Der Club der drögen Gentlemen

Leland Carlson ist hin und hergerissen: Eigentlich ist das alles zu viel Aufregung. „Wir waren ziemlich überrascht von den Reaktionen, es ist fast beängstigend. Wir müssen uns mal ein paar Tage Auszeit gönnen von all der Aufmerksamkeit der Medien. Nach dem Interview werde ich erst mal zu einem Freund hier um die Ecke gehen, und mich ein bißchen hinlegen.“

Leland Carlson, Gründer und Aushilfs-Vize-Präsident des Dull Men Club (c) Martin Herzog 2014

Leland Carlson, Gründer und stellvertretender Vize-Präsident des Dull Men’s Club (c) Martin Herzog 2014

Der stellvertretende Hilfs-Präsident des Dull Men’s Club (das höchste Amt, das der Verein zu vergeben hat) sitzt im Café der Buchhandlung Stanford in Covent Garden und rührt in seinem Milch-Kaffee (entkoffeiniert) und seufzt: „Aber auch das wird vorbei gehen und gemächlichere Zeiten werden kommen.“

Er sagt natürlich nicht gemächlichere Zeiten, er sagt duller times. Das Wort dull bedeutet so viel wie trübe, matt, dumpf, öde, lau. Jemanden als dull zu bezeichnen ist also nicht unbedingt ein Lob. Der Dull Men‘s Club allerdings nennt sich nicht nur so, sondern ist auch noch stolz darauf. Motto: Öde ist das neue Cool.

Für’s kommende Jahr gibt der Dull Men‘s Club einen Kalender heraus, der für einen ziemlichen Presserummel gesorgt hat (eine Fotostrecke mit den Motiven des Kalenders gibt es zum Beispiel hier). Darauf zu sehen: 12 sehr englische Herren mit ihren öden Vorlieben. Vertreten ist zum Beispiel der Milchflaschensammler Steve Wheeler. 20.000 davon besitzt er, obwohl er gar keine keine Milch mag. Einmal im Jahr putzt er sie. Alle. („Aber seine Frau hilft ihm dabei“, sagt Vize-Präsident Carlson). Soeben verkündete der Blog des Dull Men’s Club für seine Verhältnisse einigermaßen Atemlos die Breaking News, dass Steve mit dem anbau eines weiteren Schuppens begonnen habe, um sein privates Milchflaschen-Museum zu erweitern.

Postkasten-Spotter Peter Willis ist im Kalender ebenso vertreten wie David Morgan, der die weltgrößte Sammlung von Verkehrs-Hütchen sein Eigen nennt. Mister Januar im Kalender heißt Kevin Beresford, auch Herr der Ringe genannt. Der 62-Jährige aus Birmingham ist Präsident der Britischen Kreisverkehr-Würdigungs-Gesellschaft.

Bildschirmfoto 2014-11-17 um 21.56.32Wir treffen ihn an seinem Heimat-Kreisel in Redditch in der Grafschaft Worcestershire (man spreche: Oußterscher, mit tonlosem E am Ende): „Es gibt nichts Ausdrucksstärkeres als den ‚Einweg-Rundverkehr‘,“ strahlt er. „Man kann alles mögliche in die Mitte des Kreisverkehrs stellen. Ich habe schon Brunnen gesehen, Statuen, Loks, Boote, Flugzeuge, Kneipen, Kirchen, sogar Windmühlen. Diese Vielseitigkeit macht sie so besonders, und jede Gemeindeverwaltung, die auf sich hält, setzt etwas Besonderes in die Mitte.“ In der (zugegebener Maßen nicht allzu riesigen) Szene der Kreisverkehr-Spotter ist Kevin weltbekannt, Fotos von besonders schönen Exemplaren erreichen ihn aus allen Ländern, „eines sogar aus Strahlsund, mit einem großen Schiffspropeller in der Mitte.“

(c) Kevin Beresford

(c) Kevin Beresford

Neben der bautechnischen Vielfältigkeit entspreche der Kreisverkehr dem britischen Charakter viel mehr als die automatisierten Straßenkreuzungs-Regelsysteme per Lichtzeichen: „Dem Kreisverkehr nähern wir uns in unserer eigenen Geschwindigkeit, nehmen aufeinander Rücksicht, sind höflich zu anderen Autofahren und verständigen uns mit ihnen nach typisch englischer Art – ’nach Dir…‘, ’nein, nach Dir…‘ – anstatt uns von einer Maschine diktieren zu lassen, wann wir zu fahren und wann zu halten haben.“ Soweit jedenfalls die Theorie, die vielleicht hier in Redditch die Realität ein wenig akkurater beschreibt als im Chiswick Roundabout in London.

Hugh Barker, Hecken-Entusiast und Autor des einschlägigen Standardwerkes 'Hedge Britannia' (c) Martin Herzog 2014

Hugh Barker, Hecken-Entusiast und Autor des einschlägigen Standardwerkes ‚Hedge Britannia‘ (c) Martin Herzog 2014

Hugh Barkers Vorliebe gilt der gemeinen Gartenhecke. Sogar ein Buch hat er darüber geschrieben: Hedge Britannia. „Hecken sind ein erstaunlich wichtiger Teil unserer Landschaft. Mich interessiert ihre Geschichte, ihre symbolische Bedeutung, aber auch all die seltsamen Formen, in die manche ihre Hecken trimmen, und was das über die Menschen aussagt – sowohl das Alberne wie das Ernste.“

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(c) Hugh Barker

Dafür haben ihn die Medien zum „Langweiligsten Londoner“ gekürt. Ein Problem hat er damit nicht. „Es ist gut, öde zu sein. Das Vereinsmotto lautet ‚Celebrating the Ordinary.‘ Wir feiern die Normalität. Vieles, was uns interessiert, scheint seltsam, aber es gibt viele Menschen mit schrägen Interessen, meist Männer, und daran ist nichts falsch, dafür muss man sich nicht schämen.“

Mastermind hinter Kalender und Club ist Oberlangweiler Leland Carlson. Vor 30 Jahren gründete der gebürtige Amerikaner den Dull Men‘s Club in New York. „Es begann als Unterabteilung des Athletic Club. In dessen Monatszeitschrift berichteten alle möglichen Abteilungen über ihre aufregenden Aktivitäten: Tennis, Tauchen, Wandern, Karate, solche Dinge. Irgendwann saßen wir an der Bar und sagten: ‚Wir machen nichts von all dem. Ja, meinte ein anderer, wir sind ziemlich öde – lass uns darüber einen Artikel schreiben.'“ Aus dem Artikel wurde eine regelmäßige Kolumne und schließlich der Club. Allerdings sahen sich die bekennenden Langeweiler bald genötigt, einen Aufnahmestopp zu verhängen, und die Zahl der Mitglieder auf 17 zu beschränken. Das war die Zahl der Stühle im Versammlungsraum. Aus dem gleichen Grund verwehrt man bis heute Frauen die Aufnahme („Das wäre zu aufregend! Die fangen dann an, die Möbel umzuräumen oder so – bloß nicht!“)

Bildschirmfoto 2014-11-17 um 21.59.21Als Leland Carlson nach England umzog („Winchester, sehr beschaulich. Das müssen selbst die meisten Engländer auf der Karte suchen“), brachte er den Club mit hierher. Der Kalender hat nun seinem Verein viel Aufmerksamkeit von Seiten der Medien gebracht. Deren Hang zur Übertreibung allerdings ist ein Problem für die Dull Men. „Die Presse macht daraus „die ödesten Männer“. Wir sind nicht die ödesten! Das wäre schon wieder zu extrem. Wir versuchen nicht öder zu sein als alle anderen. Wir feiern die Normalität. Mit den einfachen Dingen im Leben zufrieden zu sein, ist viel besser als Fallschirmspringen zum Beispiel. Da machen wir lieber ein Nickerchen.“

Geschätzt 5000 Mitglieder weltweit hat der Club der öden Gentlemen bereits, die meisten davon – natürlich – in Großbritannien. Neue Anwärter sind aber stets willkommen, die Aufnahmekriterien sind entspannt. Im Kalender findet sich ein Beitritts-Zertifikat, in angemessen öder Farbgebung: „Wir sind sehr stolz auf das Design. Zwei hübsche Grautöne mit einem Hauch von Beige – zwei unserer Lieblingsfarben.“ Woher aber weiß man, dass man ausreichend öde ist für den Verein? Leland verweist auf eine lange Liste mit den Vereins-FAQ’s im Kalender: „Frage Nummer 20 lautet genau so: Was qualifiziert mich als Dull Men? – Nun, wenn Du das alles bis hierhin wirklich gelesen hast, dann bist Du auf dem besten Weg. Und wenn die Antwort auf Frage nach Deiner Lieblingsfarbe ‚Grau‘ ist, ist das sicherlich auch ein Schritt in die richtige Richtung.“

Bildschirmfoto 2014-11-17 um 22.00.13Auch ohne Mitgliedschaft wollen viele Briten an der versammelten Ödnis teilhaben. Sagt jedenfalls Tony Maher vom Kalender-Spezialisten Standford: „Wir verkaufen tausende Kalender pro Woche, und Dull Men of Great Britain 2015 ist momentan unser Bestseller. Es spricht die englische Vorliebe für alles Exzentrische an, Engländer lieben diese Art Humor. Solche Kalender waren schon in den vergangenen Jahren erfolgreich, und der hier wird dieses Jahr wohl unsere Nummer eins werden.“ Der größte Bestseller vergangenes Jahr: Roundabouts of Britain, ein Werk des Kreisverkehr-Fans Kevin Beresford, der auch das Projekt Dull-Men’s-Kalender wesentlich vorantrieb.

Bildschirmfoto 2014-11-17 um 22.00.56Jenseits allen schrägen Humors, scheinen die Dull Men einen Nerv zu treffen. In einer hektischen, überdrehten Gesellschaft setzen sie in ihrer Langweiligkeit einen Kontrapunkt. So sieht das auch die Wissenschaft. Der Club der öden Männer mit ihren öden Interessen hat für Psychologen Mark Coulssonvon der University of Middlesex London therapeutische, fast buddhistische Züge: „Das ist im Prinzip ein uraltes Konzept. Untersuchungsergebnisse zeigen: Wer seine Interesse auf einen sehr bestimmten, engen Bereich konzentriert und ein einfaches Leben führt, der führt ein glückliches Leben. Die heutige Gesellschaft präsentiert uns zu viele Möglichkeiten, zu viele Optionen. Wenn man sich außerhalb dieses Rahmens bewegt und sich auf die eigene Leidenschaft konzentriert, ist das wohl der direkte Weg zum Glück. Wenn man dagegen den Leuten dauernd einbläut, sie müssten außergewöhnlich sein, dann ist das sehr gefährlich.“

Bildschirmfoto 2014-11-17 um 22.01.48 So sehen dann also glückliche Menschen aus! Weil sie stoisch ihren langweiligen Interessen folgen, und dem dauernden Druck widerstehen von Medien, Werbung und Gesellschaft, immerzu cool, schick und aufregend sein zu müssen. Wenn jeder versucht außergewöhnlich zu sein, außergewöhnliches zu leisten, dann werden die wenigen, die sich nichts davon  antun, zur Avantgarde. Bildschirmfoto 2014-11-17 um 22.21.57„Es is trendy, öde zu sein,“ strahlt denn auch Kevin Beresford, der Kreisel-König. „Wir sind der Beginn einer Art Kult-Bewegung, wir loten die Grenzen aus. Die Leute glauben vielleicht, dass wir öde sind, aber in gewisser Weise sind wir das Gegenteil, Pioniere, wenn man so will.“

Der Avantgarde-Kalender für 2016 ist jedenfalls in Planung. Gebucht sind bereits ein Schotte, der seit 20 Jahren penibel Buch über sein Rasenmäh-Verhalten führt (welches damit zu einem Schatz für Klimaforscher wurde), sowie einem Waliser, der hauptberuflich Farbe beim Trocknen zuschaut. Bildschirmfoto 2014-11-17 um 22.21.36Man sieht schon das zugehörige Werbebanner: Dull Men of Great Britain 2016 – Jetzt noch öder! Leland jedenfalls freut sich darauf: Um so einen Kalender zu organisieren, hat man ziemlich viel ziemlich langweilige Arbeit zu tun. Sie sollten mal meine Excel-Tabellen sehen! Seiten um Seiten – herrlich!“

Der Beitrag Dull Men’s Club ist in der Sendung Euromaxx der Deutschen Welle (DW) zu sehen.

Den Kalender Dull Men of Great Britain 2015 kann man bei der Londoner Buchhandlung Stanford’s online bestellen.

Remember, Remember…

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Jetzt böllern sie wieder. Kaum 48 Stunden hat die Waffenruhe gehalten. Gerade sind die letzten Hlloween-Knaller verraucht, schon kommen unsere beiden Wachkatzen wieder mal mit angelegten Ohren von draußen zur Küchentür herein geschossen, weil irgend ein jugendlicher Knallkopp vor unserem Gartentor einen China-Kracher gezündet hat.

Bonfire Night steht an in England, auch Guy Fawkes Night genannt, nach dem einzigen der 13 Gun-Powder Plot-Verschwörer, an dessen Namen man sich aus Schulzeiten dunkel erinnern kann. Den aber kennt hier jedes Kind, nicht zuletzt wegen der weißen Schnurrbart-Maske, die durch den Film V wie Vendetta bekannt wurde, von der Hackertruppe Anonymous und der Occupy-Wallstreet-Bewegung übernommen wurde.

Wer zum Jahreswechsel nach London reist, und um Mitternacht überall auf den Straßen Raketen und Böller erwartet, der wird ziemlich enttäuscht sein. Sicher, ein großes Feuerwerk gibt es, auf der Themse am London Eye. Wer dahin und am Ende auch noch was sehen will, muss etliche Stunden vorher erscheinen (in diesem Jahr werden sogar erstmals Tickets ausgestellt, Eintritt: 10 Pfund), darf dann meist im Londoner Schmuddelwetter von einem Bein aufs andere treten, zu Big Ben hoch schauen und sich wundern, warum die Zeiger seiner Uhr immer langsamer werden, wenn sie Richtung 12 vorrücken. Das Ergebnis sind eine volle Blase, kalte Füße und warmer Sekt, bevor es endlich rummst. Einzige Alternative: Fernsehsessel und BBC-Übertragung.

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Ansonsten bleibt London knalltechnisch zum Jahreswechsel auffallend ruhig. Weil sich die Londoner schon verausgabt haben. An Halloween. Und eben jetzt. In den großen Parks wie Battersea werden in dieser Nacht unter dem Gejohle der Umstehenden große Feuer entzündet und Guy-Fawkes-Puppen verbrannt, in Memoriam ihm und seinen Spießgesellen, die im Jahre des Herrn 1605 in katholisch-fundamentalistischem Eifer König James I. mitsamt dem versammelten protestantischen Hochadel zum Teufel bomben wollten, am Tag der Parlaments-Eröffnung in Westminster Palace. Remember, remember, the 5th of November… – den Kollateralschaden hätten sie dabei billigend in Kauf genommen, nämlich jene beistehenden Adeligen, die katholisch waren – also in ihren Augen unschuldig. Aber wenn’s ums Große Ganze geht, darf man nicht so kleinlich sein.

Guy_Fawkes_by_Cruikshank

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Hätte es geklappt, wäre der Knall… ordentlich gewesen. Also, ziemlich ordentlich sogar. Vom Parlament und dem umstehenden Stadtviertel wäre wohl nichts mehr übrig geblieben, so viel Schießpulver hatten die Verschwörer unter dem Parlament gebunkert (in einem Weinkeller, den sie gemietet hatten – so schlicht können Pläne manchmal sein). Und England sähe heute sicherlich sehr anders aus. Aber der Plot wurde entdeckt, weil Blut dicker als Wasser ist, und einer der Verschwörer wenige Tage zuvor seinen Schwager wenig subtil per Brief auf das geplante Feuerwerk aufmerksam machte. Das bezahlte Guy Fawkes mit dem Leben (natürlich erst, nachdem er mit den robusten, epocheüblichen Methoden überredet wurde, die Namen seiner Mitverschwörer preiszugeben, die dann ebenfalls den Weg zum Galgen fanden).

Schon seltsam, dass sich heute so ziemlich alle Bewegungen, die sich für radikal halten und gegen das tatsächliche oder eingebildete Establishment aufbegehren, gegen das „System“ also, sich als Symbol ausgerechnet diesen gescheiterten Attentäter Guy Fawkes aussuchen. Über die Ehrbarkeit ihrer religiösen Motive lässt sich ziemlich gut streiten (Attentatsziel James I. zum Beispiel gilt als deutlich toleranter den Katholiken gegenüber als seine Vorgänger), und auch die politischen Motive, die nicht religiöser Natur sind, scheinen ziemlich zweifelhaft, darunter vor allem nationalistische, und das heißt in diesem Fall antischottische Ressentiments (James I. war zugleich James VI. von Schottland und war soeben in Begriff mit Schottland eine Union zu schmieden – richtig, genau die, von der sich die Schotten kürzlich so gerade eben nicht verabschiedet haben).

Die aktuellen Revolutionäre ficht das nicht an. Vermutlich weil sie’s nicht wissen (möchten?). Übrig geblieben ist nur, dass Guy Fawkes dieser Typ war, der das Parlament in die Luft sprengen wollte, und weil die da oben ja bekanntlich alle Verbrecher sind, kann das schon mal nichts Schlechtes gewesen sein. So kam er auch zur postumen Ehre der Maske (ein interessanter Artikel dazu erschien gerade im Stern).

Dabei hatten er und seine Mitverschwörer  sicherlich alles mögliche im Sinn, aber sicher keine Volksrevolution. Genauso wenig wie Spartakus einen Volksaufstand für Freiheit und Demokratie angeführt hat, und die Aufständischen auf dem Sklavenschiff Amistad für die allgemeine Abschaffung der Leibeigenschaft gekämpft haben.

Remember, Remember

The 5th of November

Gunpowder Treason and Plot

We see no reason

Why Gunpowder Treason

Should ever be forgot!

Aber was bedeuten schon die paar historischen Fakten, wenn eine Maske alles ist, was man braucht, um seinen revolutionären Furor zu bezeugen? Oder auch nur, um eine Nacht lang Spaß zu haben.

Na dann, bollert mal schön…

Reinschauen: 125 Jahre Savoy-Hotel

The Savoy Strand Front in the 1930s

(c) Savoy Hotel

Das hätte sich Peter von Savoyen nicht träumen lassen, als er 1246 vom englischen König einen Londoner Stadt-Palast geschenkt bekam: Ein halbes Jahrtausend später steht auf dem Platz ein schnödes Hotel mit seinem Namen. Immerhin, es ist nicht irgendeine Absteige. In diesem Jahr feiert es Jubiläum. Vor 125 Jahren wurde das Savoy am Londoner Strand eröffnet.

Schon der Empfang ist einzigartig: auf der Zufahrt zum Savoy gilt Rechtsverkehr – die einzige Straße in ganz England. Und das ist nicht die einzige Extravaganz. Vor 125 Jahren an der Flaniermeile Strand eröffnet, ist das Savoy bis heute eine der nobelsten Adressen im Königreich. Und die nobelste Adresse im Savoy belegt den gesamten 5. Stock: die Royal Suite – 325 Quadratmeter, gut 15.000 Euro pro Nacht – Butler inklusive.

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(c) Martin Herzog 2014

„Beim Eintreten haben Sie sicher gemerkt: Es gibt keine Zimmernummer, es ist schlicht die Royal Suite. wenn Sie mir bitte ins Speisezimmer folgen wollen…“ Sean Davorn führt uns durch die Räume. Er trägt den Titel Head Butler und ist Chef der 30 Butler des Savoy. Im Speisezimmer für 12 Gäste macht uns Sean auf die Spiegeltür am hinteren Ende aufmerksam. Dahinter befindet sich die Butler-Pantry. „Sie brauchen ihn nur zu rufen, er steht 24 Stunden zur Verfügung.“

Über Badezimmer („Dampfdusche, Jaccuzzi, Marmor-Waschbecken, Blick auf die Themse mit London Eye und Parlament“) und Ankleideraum („für den Butler das wichtigste Zimmer“) geht es ins Hauptschlafzimmer mit englischem Himmelbett (ein Gästeschlafzimmer gibt es natürlich auch noch, sowie ein großzügiges Wohnzimmer und ein Arbeitszimmer). „Nur eine Kleinigkeit: Die Matratze kostet 25.000 Pfund, rund 30.000 Euro. Jede Feder ist mit Kaschmir-Haar umwickelt. Wenn Sie also als Prinz oder Prinzessin darauf schlafen, wird keine Erbse darunter Sie stören. Sie werden hervorragend schlafen.“

(c) Martin Herzog 2014

Den ganz persönlichen Diener-Service hat das Hotel nach seiner Groß-Renovierung vor einigen Jahren wieder eingeführt, wegen der großen Nachfrage. Für Extrawünsche steht Chef-Butler Sean Davorn seinen Gästen rund um die Uhr zur Verfügung, auch für ungewöhnliche – „solange sie legal sind,“ fügt er schnell hinzu.

Und dann plaudert er aus dem Nähkästchen: Vom Gast, der ihn bat, ein Päckchen beim Juwelier abzuholen, das sich als Collier heraus stellte im Wert von mehreren Millionen Pfund. Vom globetrottenden Geschäftsmann, der in jedem seiner Stammhotels die identischen 200 Anzüge samt Hemden, Schips und Manschettenknöpfen gebunkert hat, und die er bei Ankunft in exakt der gleichen Ordnung vorzufinden wünscht. Vom Gast, der jedes mal mit einem Lineal nachmisst, ob die Überdecken auch exakt gefaltet sind und die Kissen an der gleichen Stelle liegen.

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(c) Martin Herzog 2014

„Einer unserer weiblichen Gäste badet stets in Ziegenmilch. In London kann man alles kaufen, also auch das – aber es muss frische Milch sein. Da wir nicht allzu viele Ziegenherden in London haben, müssen wir sie aus Wales heranschaffen. Der Chauffeur kostet knapp 700 Pfund, die Milch 25 Pfund. Ich erhitze sie in einem großen Topf, bringe es in Eimern hinauf und schütte sie ins Bad. Anschließend gehe ich wieder hinunter und erhitze den Inhalt von drei Dutzend Flaschen Evian-Wasser, damit die Dame sich damit abspülen kann.“ Sean zuckt mit den Schultern: „Ein solcher Wunsch ist etwas außerhalb des Normalen. Aber ich nehme jeden Wunsch eines Gastes ernst.“

Staff standing outside the new main entrance to The Savoy, 1904

(c) Savoy Hotel

So halten es die Mitarbeiter des Savoy schon immer, vom Butler bis zum Türsteher, seit das Grand Hotel 1889 im Theaterviertel Westend seine Türen öffnete. Sein Erbauer war der Inhaber des Savoy Theatre gleich nebenan – das erste öffentliche Gebäude Londons mit elektrischer Beleuchtung.

So setzte auch das Savoy-Hotel von Anfang an neue Maßstäbe: elektrisches Licht auf allen Etagen, Zentralheizung statt Kohleofen, die meisten Zimmer mit eigenem Bad, und mit fließend heißem und kaltem Wasser.

1926 Red Lift & liftman

(c) Savoy Hotel

„Als das Savoy eröffnete, war es technologisch allen anderen Hotels weit voraus“, erzählt Susan Scott, ihres Zeichens Archivarin des Savoy und damit die einzige Hotel-Historikerin weltweit. „Es scheint uns heute vielleicht amüsant, dass fließend warm Wasser eine unglaubliche Innovation bedeutete, aber das auf allen Etagen zu haben, war 1889 sehr ungewöhnlich. Nur zur Veranschaulichung: Das Hotel, das kurz vorher nicht weit von hier in der Northumberland Road eröffnete, hatte 400 Zimmer, davon ganze vier mit Badezimmer. Nicht, dass die Leute dreckig waren, die haben schon gebadet. Aber da musste eben Wasser heiß gemacht und aufs Zimmer gebracht werden. Das kostete dann natürlich extra, ebenso wie Kerzen, oder Kohle für den Ofen. Im Savoy dagegen kostete das Zimmer zwar mehr, aber dafür war das alles inklusive.“ (Fließend heiße und kalte Ziegenmilch sei auf absehbare Zeit allerdings immer noch nicht vorgesehen).

Und noch eine Neuerung gab es im Savoy. Statt einem großen Treppenhaus: elektrisch betriebene Aufzüge samt Liftboy sowie einer Sitzgelegenheit für ängstliche Gäste, die den fliegenden Zimmern anfangs oft nicht recht trauten. Versehen mit moderner Technik fahren sie auch heute noch.

Melba-1904

(c) Wikipedia

Ebenso ungewöhnlich wie die technischen Neuerungen, waren die kulinarischen Kreationen, die im Restaurant serviert wurden. Der erste Küchenchef Auguste Escoffier erfand 1893 für die weltberühmte Operndiva Nellie Melba ein heute weltberühmtes Dessert: Pêche Melba.

Im Savoy Grill steht der pochierte Pfirsich auch 120 Jahre nach seiner Erfindung auf der Karte: Wie sein Vorgänger, bereitet der aktuelle Küchenchef Andy Cook die Nachspeise ausschließlich mit Pfirsich, Himbeere und Vanille-Eis: „Die Chefköche haben das Gericht über die Jahre sehr unterschiedlich interpretiert, von sehr einfach bis sehr komplex. Wir versuchen es hier simpel zu belassen und dem Original-Rezept möglichst treu zu bleiben.“

So kann man im Savoy Grill vergangenen Zeiten hinterher schmecken und sich einreihen in die Riege großer Namen, die hier im Laufe der Geschichte Hof hielten, von Marylin Monroe und Humphrey Bogart über Elizabeth Taylor, John Wayne bis zu Präsident Harry Truman Queen Elizabeth.

(c) Savoy Hotel

Charlie Chaplin ist ebenfalls in den alten Gästekarten verzeichnet. Auch ist ein Foto erhalten, auf dem er auf dem Dach des Savoy zu sehen ist, und seiner Tochter zeigt, wo er auf der Southbank seine (reichlich traurige) Kindheit verbracht hat. Einige Jahre später tanzte an gleicher Stelle Fred Astaire. Überhaupt ist das Dach des Savoy Schauplatz einiger kurioser Geschichten. So schlug ein amerikansicher Profigolfer in den 30er Jahre von hier aus ab, und versuchte einen Eimer in einerm Boot auf der Themse zu treffen. Und zwei Angler verhakten sich in den 1920ern so in einer Diskussion darum, ob es vom Dach des Savoy aus möglich wäre, in der Themse zu angeln, dass die Polizei eines Sonntags morgens das gesamte Embankment sperrte, um genau das herauszufinden (man kann).

Winston Churchill at Savoy n.d. 600dpi

(c) Savoy Hotel

Einer der treuesten Stammgäste des Savoy aber war Winston Churchill. „Er liebte das Savoy. Er kam sein ganzes Leben hierher und brachte oft sein ganzes Kabinett mit zum Mittagessen. Er gründete einen Dinner-Club, The Other Club, der sich übrigens immer noch im Savoy trifft. Und sein letzter öffentlicher Termin war ein Dinner mit diesem Club.“

Manche brachten sogar ihre Haustiere mit, wie Roy Rodgers, der samt Pferd hier Hof hielt. Ein Rockstar, dessen Namen sie nicht verraten will, feierte im Savoy seine Hochzeit, bei der alles in Pink gehalten sein sollte – weshalb sich zwischen all der rosaroten Deko ein Schwarm lebender Flamingos fand. „Ein anderer Gast wollte zum Afternoon Tea seinen Leoparden mitbringen,“ schmunzelt Historikerin Scott, „aber da hat die Hotelleitung einen Strich gezogen. Das Tier musste vor der Tür angebunden warten, bis sein Besitzer zurück war.“

Cheetah

(c) Savoy Hotel

Die reiche Geschichte des Savoy wäre nicht komplett ohne die Hollywoodfilme, die hier gespielt haben. Die Addams Family war hier schon zu Gast, und auch Sean Connery und Catherine Zeta-Jones für den Film Entrapment aus dem Jahr 1999. Und in keine andere Hotelzufahrt hätte Hugh Grant seiner angebeteten Julia Roberts so schön nachjagen können wie im Savoy, in der London-Schmonzette Notting Hill, ebenfalls von 1999.

Die meisten Gäste nehmen sich glücklicherweise ein wenig mehr Zeit für das Savoy – und für London.

Der Beitrag 125 Jahre Savoy-Hotel ist im Kultur-Magazin Euromaxx der Deutschen Welle zu sehen (zum Stream geht’s hier)

Reinhören: 15 Jahre London Eye

Bewegt sich das überhaupt? Aus der Entfernung könnte man meinen, es steht. Eine halbe Stunde dauert die Runde mit dem einstmals größten Riesenrad der Welt, hinauf in 135 Meter Höhe und wieder hinunter. Nicht gerade eine Achterbahnfahrt. Na, dann mal los…

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(c) Martin Herzog 2014

Vor dem Eingang zum London Eye steht eine überschaubare Menge, und wartet auf Einlass in eine der 32 Kabinen. Zur Ferienzeit schlängeln sich die Wartenden im Zickzack der Absperrbänder schon mal einige hundert Meter, heute aber ist es entspannt.

Lautlos erheben wir uns über das südliche Themseufer, über die Hotdog-Stände, die fotografierenden Touristen und die Straßenkünstler der Southbank. Bald sind wir auf Zifferblatthöhe von Big Ben und schauen über London: „Ich genieße das, es ist jedes mal ein bisschen anders – andere Leute, anderes Wetter, die Aussicht ist anders, weil die Lichtverhältnisse andere sind. How can you be tired of London?“

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(c) Wikipedia

Julia Barfield begleitet mich. Zusammen mit ihrem Partner David Marks hat die Londonerin das Projekt Riesenrad 1993 ins Leben gerufen. Über 20 Jahre später schaut sie zufrieden auf die elegante Stahlkonstruktion, die uns in die Höhe hebt: „Wir wollten die Menschen zum Staunen bringen: Wie kann dieses Ding stehen, wieso ist es so leichtfüßig?“

Es sei aber auch darum gegangen, die die Bedeutung der Themse für die Stadt zu betonen. „Heute flanieren Tausende die Flusspromenade entlang, aber damals: Tumbleweed!“, lacht sie. „Wirklich, hier war kaum jemand. Anderthalb Millionen Menschen liefen jedes Jahr halb auf die Westminster Bridge, machten ein Foto vom Parlament, und kehrten wieder um. Ein Grund, warum wir die Genehmigung bekommen haben, war die Neugestaltung des Südufers der Themse.“ Dem Gewimmel unter uns nach zu urteilen, ist das wohl gelungen.

Die Idee für ein Riesenrad sei ihrem Partner David Marks auf dem Weg zur Arbeit gekommen. Damals hatte die Times einen Ideenwettbewerb für London ausgeschrieben, um mit einem ambitionierten Projekt den Jahrtausendwechsel angemessen zu würdigen. Ihm sei aufgefallen, dass es keinen Aussichtspunkt in London gibt, wie den den Eiffelturm in Paris, nichts, was der Öffentlichkeit zugänglich gewesen wäre.

Zu diesem Zweck hätte man natürlich auch einen Turm oder ein Hochhaus bauen können. Die Form des Riesenrades aber schien den beiden Architekten damals besonders geeignet: „Zum einen ist es eine sehr effiziente Methode, um viele Leute nach oben zu befördern. Aber es gab auch einen symbolischen Grund, denn es sollte das Millennium feiern, ein Symbol für das Verstreichen der Zeit. Der Kreis symbolisiert den Lebenszyklus, und so schien uns der Kreis angemessener als ein Turm.“

Die Juroren des Wettbewerbs überzeugte das nicht so recht, genauso wenig wie andere Konzepte, und sie vergaben überhaupt keinen Preis. Julia Barfield und David Marks aber hielten an ihrer Idee fest: London sollte das neue Jahrtausend mit ihrer Version einer jahrhundertealten Jahrmarkt-Attraktion begrüßen.

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(c) Wikipedia

Der Ursprung des Riesenrads findet sich auf dem Balkan. In Bulgarien, genauer gesagt. Im Jahr 1620 beschreibt ein englische Reisender, wie er in der Stadt Philippopolis Kinder auf „senkrechten Rädern“ beobachtete: „Wie ein großes Wagenrad, an dessen Außenseite kleine Sitze befestigt sind, worin Kinder saßen, und obwohl sie sich hoch und runter drehten und die Kinder manchmal auf dem oberen Teil des Rades waren, manchmal an dem unteren Teil, saßen sie doch stets aufrecht.“

Sonderlich riesig waren diese ersten Riesenräder nicht, kaum mehr als ein paar Meter hoch und handgetrieben. Das erste echte Riesenrad baute 1893 der amerikanische Brückenbau-Ingenieur George Ferris in Chicago. Seine 36 Gondeln schaufelten täglich 38.000 Passagiere hoch hinaus über die World‘s Columbian Exposition, für die es Ferris eigens entworfen hatte. Nach seinem Erbauer heißen Riesenräder bis heute im Englischen Ferris Wheel.

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Das erste echte Riesenrad, gebaut für die World Columbian Exposition in Chicago (c) Wikipedia

Nach Chicago wollten alle so etwas haben: 1897 entstand das Riesenrad im Wiener Prater, drei Jahre später das Grande Roue de Paris . Auch in London drehte sich zu dieser Zeit bereits ein veritables Rad: Das Great Wheel mit 94 Metern Höhe. Nach der Jahrhundertwende allerdings geriet das Riesenradbauen lange aus der Mode – bis sich auch das 20. Jahrhundert dem Ende zuneigte…

135 Meter, wir haben den höchsten Punkt erreicht – unter unseren Füßen wuselt London. Gleich nebenan Westminster Bridge mit Big Ben, dahinter Buckingham Palace, der Trafalgar Square, etwas weiter östlich St. Paul‘s Cathedral und das Bankenviertel, der Tower mit der Tower Bridge, davor der Shard, das höchste Hochhaus in West-Europa. Aus unserer vollverglasten Kapsel haben wir einen ungehinderten Rundumblick. Anders als bei herkömmlichen Riesenrädern, sind die tonnenschweren Passagierkabinen außen befestigt, so dass keine Teile der Konstruktion den Blick verstellen.

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(c) Wikipedia

Doch so wichtig wie der Blick aus dem Riesenrad, ist der Blick auf das Riesenrad, erzählt Julia Barfield: „Wir haben uns über hundert Entwürfe angeschaut, um sicherzustellen, dass es trotz seiner Größe Leichtigkeit vermittelt. Würde man das Rad auf die Größe eines Fahrrad-Reifens verkleinern, dann wären die Speichen nur einen viertel Millimeter dick. Wir haben die neueste Computer-Technologie genutzt, um es visuell so leicht wie möglich zu machen.“

Längst nicht alle sind damals von der Vorstellung begeistert, eine solche High-Tech-Konstruktion ins ehrwürdig-historische Herz Londons zu pflanzen: „Wir haben das Projekt der Royal Fine Art Commission vorgestellt – damals das Gremium, in dem alle saßen, die Rang und Namen hatten – und der Vorsitzende machte sehr deutlich, dass er gar nichts davon hielt. Wir haben viele Vorträge gehalten, und jeder hatte eine Meinung, weil es von überall zu sehen sein würde. Wir mussten alle 32 Stadtviertel konsultieren, also sind wir herumgereist und haben mit den Leute gesprochen.

Schließlich bekommen sie die Genehmigung, auch wenn das vielen gar nicht schmeckt: „Das London Eye ist letztlich nur eine gigantische Jahrmarkt-Attraktion, die man mitten in London geklotzt hat,“ schimpft der Architektur-Kritiker des Daily Telegraph noch zwei Jahre nach der Eröffnung, unter der Schlagzeile: „Reißt das London Eye ab!“: „Wie ein Kuckuck im Nest, verzerrt und entwertet es alles drum herum.“

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(c) Martin Herzog 2014

Allein, das London Eye befindet sich damit in guter Gesellschaft: London liebt es, seine neuen Bauwerke zu hassen. Schon immer. Gerade die, die man vom Riesenrad besonders gut sieht. Beim Bau des Buckingham Palace ereiferte sich ein Zeitgenosse über „diese monströse Beleidigung der Nation, dieses sperrige Getürm, dieses Monument rücksichtsloser Extravaganz!“

Gleich, ob bei der Tower Bridge („eine beispiellose Abwesenheit aller Proportion“), bei der National Gallery („die Defekte im Inneren stehen den Absurditäten des Äußeren in nichts nach“) oder jüngst beim Shard („Es gibt kein Entkommen!“) – überall die gleiche schrille Tonlage, oft schon bei der Planung.

Gebaut wurde natürlich trotzdem immer. Und nach kurzer Zeit waren die geschmähten Bauten aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. So fotografieren sich heute die Touristen auf der Westminster-Bridge fleißig gegenseitig vor dem London Eye. Fünfzehn Jahre nach seiner Einweihung ist es, als habe es schon immer dort gestanden. Und eine Fahrt gehört zum Standard-Touri-Programm.

Das London Eye brüstet sich damit, dass es mehr Besucher anzieht als das Taj Mahal. Über 3,7 Millionen Tickets werden pro Jahr verkauft – trotz der saftigen Preise von 21 Pfund für die halbstündige Rundfahrt, rund 27 Euro. Wer noch ein bisschen mehr anlegt, kann hier abends auch edel dinieren, und von oben London bei Nacht bestaunen. 70 bis 80 Paare heiraten jedes Jahr im London Eye, und noch viel mehr halten es für eine gute Idee, am höchsten Punkt der Fahrt bei einem der Mitreisenden um die Hand anzuhalten. 5000 Heiratsanträge sind haben die Betreiber gezählt. Allerdings sollte man sich sicher sein, dass die Antwort auf die große Frage positiv ausfällt. Ansonsten könnte die restliche Fahrt lang werden…

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(c) Martin Herzog 2014

Wir stehen. Das große Rad hat sanft gehalten, ungefähr auf Höhe der Nabe – vermutlich, damit unten jemand mit Rollstuhl oder Kinderwagen zusteigen kann. Ansonsten dreht sich das London Eye stetig mit exakt 26 Zentimetern pro Sekunde. Die Geschwindigkeit ist kein Zufall, sondern von einer französischen Ingenieurfirma experimentell ermittelt, berichtet Julia Barfield: „Sie haben eine Attrappe der Kabine gebaut, in der Nähe von Grenoble, und ein ganzes Dorf engagiert, um in Echtzeit zu testen, mit welcher Geschwindigkeit sich die Kabinen bewegen mussten, damit die Leute leicht ein- und aussteigen können.“

Die größte Herausforderung aber war, das riesige Rad in die Senkrechte zu bringen. Die Teilelemente wurden zunächst per Schiff angeliefert und wochenlang auf Pontons in der Themse zusammengefügt. Anfang September 1999 war es soweit: „Es war damals das größte, schwerste Objekt, das jemals in die Vertikale gebracht worden war. Das Rad ist aufgehängt an gespannten Seilen. Wenn man es in der Mitte anhebt, spannen sich nicht unbedingt alle Kabel in gleichem Maß.“ Um die wackelige Konstruktion zu stabilisieren, wurden unten Haltekabel angebracht, die die Speichen unter Spannung halten sollten.“Eins dieser Haltekabel riss bei einem Test. Die gesammelte Weltpresse war eingeladen, und als sie das Kabel auf Überlastung testeten, war es hin.“

Schöne Pleite! Das gerissene Seil kostete die Ingenieure vier wertvolle Wochen. Am 10. Oktober 1999 schließlich der zweite Versuch: „Natürlich waren wir dabei – sehr spannend,“ lacht Architektin Barfield. Mit ihrem Partner waren sie an diesem Tag zum Zusehen verdamm: „Wir haben auf einer Bank auf der gegenüberliegenden Flussseite gesessen und zugesehen, wie es auf halber Höhe über der Themse hing, denn es musste in mehreren Etappen aufgerichtet werden: zunächst soweit, dass der Antrieb montiert werden konnte. Am Wochenende darauf wurde es dann in die Senkrechte gebracht und die Fahrgastkabinen installiert.

Pünktlich zur Jahrtausendwende 12 Wochen später wurde das Millennium-Wheel eingeweiht. 6 Jahre lang blieb es das größte Riesenrad der Welt. Dann wurde es abgelöst vom Star of Nanchang in China, das wiederum kurz darauf vom Singapore Flyer, welches schließlich vor ein paar Monaten dem High Roller in Las Vegas Platz machen musste.

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(c) Wikipedia

Das Millennium Wheel war nicht als Dauereinrichtung gedacht. Fünf Jahre lang sollte es sich an der Themse drehen, und dann demontiert werden. Doch schon 2002 stellten die Betreiber den Antrag, es dauerhaft an seinem Standort zu belassen: „Das Prater-Rad in Wien läuft seit 100 Jahren, und dieses hier wird sich so lange drehen, wie es gewartet wird und Leute damit fahren wollen. Es gibt eine jährliche Überprüfung, für die es eine Woche lang geschlossen wird. Solange man sich darum kümmert, wird es auch noch in 100 Jahren laufen.“

Das Zeitzeichen: „10. Oktober 1999 – Das Riesenrad London Eye wird aufgerichtet“ läuft am 10.10.2014 um 9:05 Uhr auf WDR 5, um 17:45 Uhr auf WDR 3, um 20:05 auf NDR Info (alle Angaben deutsche Zeit), und ist anschließend als Podcast abrufbar.